Erdrutsch in Frankreich: Rechtspopulisten stärkste Partei

Paris · Bestürzung bei den etablierten Parteien, Jubel bei den euroskeptischen Rechtspopulisten: Bei der Europawahl in Frankreich hat die Nationale Front (FN) von Marine Le Pen einen klaren Wahlsieg erzielt und ihr selbstgestecktes Ziel erreicht, stärkste Partei des Landes zu werden.

Paris. Hochrechnungen zufolge kam die FN auf rund 25 Prozent der Stimmen. Damit lag sie mit Abstand vor der konservativen Oppositionspartei UMP mit 20 bis 21 Prozent. Die regierenden Sozialisten von Präsident François Hollande landeten den Schätzungen zufolge mit etwa 14 bis 15 Prozent lediglich auf Platz drei.
"Die Franzosen wollen nicht mehr von außen regiert werden. Sie haben heute den ersten Schritt getan in ihrem Marsch Richtung Freiheit, der ihnen ihre Souveränität zurückgeben und das Ende der Sparpolitik besiegeln wird", sagte eine triumphierende Parteichefin in einer ersten Reaktion.
Mit dem Slogan "Nein zu Brüssel, Ja zu Frankreich", hatte Le Pen im Wahlkampf Stimmung gegen Europa und den Euro gemacht und sich für eine Rückkehr von Grenzkontrollen ausgesprochen. Das Ergebnis bezeichnete sie aber auch als nationale "Sanktion" der Regierungspolitik. Staatschef Hollande forderte sie auf, die Nationalversammlung aufzulösen und Neuwahlen abzuhalten.
Das gute Abschneiden der Rechtsextremen kommt innenpolitisch einem Erdbeben gleich. Es ist das erste Mal in der Geschichte der Republik, dass die 1972 gegründete Partei bei einer Europawahl die 20-Prozent-Marke überschreitet und zur führenden Kraft im Land wird. Bei der Europawahl vor fünf Jahren war die FN lediglich auf 6,3 Prozent der Stimmen gekommen. Seitdem Marine Le Pen Anfang 2011 die Partei von ihrem Vater Jean-Marie übernommen hat, arbeitet sie beständig daran, ihre Truppe "salonfähiger" zu machen und einer breiteren Wählerschicht zu öffnen - mit Erfolg. Bei den jüngsten Kommunalwahlen im März hatte die FN-Partei bereits deutliche Stimmengewinne erzielt und den Sozialisten ein gutes Dutzend Städte und Gemeinden abgenommen.
Für die Sozialistische Partei (PS) von Staatschef François Hollande bedeutet das Ergebnis nach dem Desaster im März nicht nur eine erneute Schlappe. Er erlebt zudem die bittere Schmach, der erste französische Präsident zu werden, unter dem die FN stärkste Partei wird. Zwar hatte sich Hollande dem Vernehmen nach bereits auf "das Schlimmste" eingestellt, insgeheim hatte er aber wohl doch gehofft, die Verluste in Grenzen halten zu können - zumal er unmittelbar nach der Kommunalwahl bereits alle Register gezogen und die Regierung mitsamt Premierminister ausgewechselt hatte.
Der neue Regierungschef Manuel Valls sprach am Abend von einem "schweren Moment für Frankreich und für Europa" und von einem "Schock". Die Franzosen durchlebten eine Vertrauenskrise gegenüber Europa und gegenüber der nationalen Politik. Die angestrebten Reformen müssten nun noch schneller umgesetzt werden, sagte Valls. Seine Parteifreundin, Umweltministerin Ségolène Royal, erklärte: Der Wahlausgang zeige die Ungeduld der Franzosen, die endlich "Ergebnisse" sehen wollten. Eine Neubelebung der Wirtschaft sei dringend nötig, mahnte die ehemalige Lebensgefährtin Hollandes.

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