Europäische Liberale wollen mit klarem Bekenntnis zu Europa punkten

Brüssel · Die Liberalen wollen mit einem klaren Bekenntnis zu Europa und soliden Staatsfinanzen Ende Mai punkten. Nach dem Ausscheiden aus dem Bundestag, will die FDP mit Spitzenkandidat Alexander Graf Lambsdorff bei der Europawahl zeigen, dass sie wieder da ist.

 Der FDP-Spitzenkandidat für die Europawahl, Alexander Graf Lambsdorff

Der FDP-Spitzenkandidat für die Europawahl, Alexander Graf Lambsdorff

Foto: Tim Brakemeier (dpa)

Insgesamt wollen sich die EU-Liberalen durch ein starkes Ergebnis möglichst viel Einfluss auf Politik und Postenvergabe in der neuen Legislaturperiode sichern. Währungskommissar Olli Rehn soll als einer der beiden Spitzenkandidaten der EU-Liberalen dabei helfen. Volksfreund-Korrespondentin Anja Ingenrieth sprach mit beiden. Die Alde stellt derzeit 83 der 766 Europa-Abgeordneten und ist die drittstärkste Fraktion hinter Konservativen und Sozialdemokraten.

Herr Rehn, Sie haben als Währungskommissar eine Schlüsselfunktion im Kampf gegen die Schuldenkrise. Ist sie endgültig überstanden?

Rehn: Das Schlimmste ist vorbei. Die Währungsunion ist nicht mehr in der Gefahr auseinanderzubrechen. Aber wir sind noch nicht über den Berg und müssen national wie europäisch auf Reform- und Konsolidierungskurs bleiben. Der Schwerpunkt muss sich nun vom akuten Krisenmanagement und institutionellen Veränderungen hin zu konkreten Maßnahmen für Wettbewerbsfähigkeit, Wachstum und Jobs verschieben - wie eine Vollendung des Binnenmarkts für Energie und Telekommunikation.

Frankreich kommt beim Abbau der Neuverschuldung kaum voran. Sollte Paris von der EU mehr Zeit für den Defizitabbau bekommen? Ihr sozialdemokratischer Konkurrent Martin Schulz, ist dafür ....

Rehn: Ich halte es für das völlig falsche Signal an die Märkte und an die Menschen, Frankreich mehr Zeit zum Defizitabbau zu geben. Paris hat bereits zweimal eine Verlängerung bekommen. Das reicht. Frankreich muss im eigenen Interesse reformieren und sparen, denn es hinkt bei Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit hinterher.

Lambsdorff: Wir sind auch deshalb in die Krise geraten, weil Deutschland und Frankreich 2003 den Euro-Stabilitätspakt aufgeweicht haben, um Defizitverfahren gegen ihr Land abzuwenden. Wir wären verrückt, den gleichen Fehler nun wieder zu begehen. Wir haben neue, scharfe Stabilitätsregeln - und die müssen für alle gleichermaßen gelten.

Also kein sozialerer Sparkurs wie Martin Schulz ihn will?

Rehn: In Deutschland tut Martin Schulz so als sei er für Stabilitätskultur, in Südeuropa fordert er schuldenfinanzierte Konjunkturpakete. Das passt nicht zusammen. Wenn eine höhere Neuverschuldung wirklich Wachstum stimulieren würde, müssten Frankreich und Italien die Wachstumschampions der EU sein. Das sind sie bekanntlich nicht.

Selbst der konservative Spitzenkandidat für die Europawahl, Jean-Claude Juncker, hält manche Reform-Auflagen, die er als Eurogruppenchef mit beschloss, nun für zu hart...

Rehn: Erstens: Die Auflagen für die Krisenstaaten haben den Wohlfahrtsstaat nicht ausgehebelt. Zweitens: Die beste soziale Sicherung ist ein Job. In den Ländern, die rigoros reformiert haben - wie Irland und Lettland, aber zunehmend auch Spanien und Portugal - wächst die Wirtschaft wieder und die Arbeitslosigkeit sinkt. In Irland liegt die Joblosenquote nun sogar unter dem Durchschnitt der Eurozone. Reformen zahlen sich aus. Sie unter sozialen Vorbehalt zu stellen, ist nicht der richtige Weg.

Griechenland hat zwar einen Primärüberschuss erreicht. Doch der Schuldenberg ist immer noch mit Abstand der höchste aller EU-Länder. Kommt das Land ohne weitere Hilfe auf die Beine?

Rehn: Griechenland hat bisher keine weitere Hilfe angefragt. Also ist das Thema auch nicht auf der Agenda. Die Wirtschaft wächst wieder und Athen konnte sogar am Markt erfolgreich Staatsanleihen platzieren. Es geht aufwärts.

Aber die Euro-Finanzminister haben Hellas doch niedrigere Zinsen für die Hilfskredite und längere Rückzahlfristen versprochen, wenn Athen den Primärüberschuss schafft...

Rehn: Die Zusagen der Finanzminister vom November 2012 stehen. Aber zunächst brauchen wir eine neue Troika-Mission und eine neue Analyse der Schuldentragfähigkeit. Dann können wir im Herbst auf dieser Basis Entscheidungen treffen.

Schließen Sie einen zweiten Schuldenschnitt aus?

Rehn: Ich habe mir abgewöhnt, irgendetwas Definitives über Griechenland zu sagen. Die Schuldentragfähigkeit ist zweifellos ein Problem. Aber klar ist auch - Aussagen darüber sind genauso viel Kunst wie Wissenschaft. Denn sie hängen etwa extrem davon ab, welche Wachstumsraten man zugrunde legt.

Lambsdorff: Der Reformdruck auf Griechenland muss aufrecht erhalten werden. Die jüngste Kritik im Europaparlament an der Troika halte ich daher für verfehlt. Ebenso wie die Diskussion über neue Hilfen zum jetzigen Zeitpunkt.

Brauchen wir eine Art europäischen Finanzminister, der auch ein Veto gegen unsolide nationale Haushalte bekommt?

Lambsdorff: Das würde das Bundesverfassungsgericht nicht mitmachen, weil dies die Budgethoheit der nationalen Parlamente aushöhlt.

Rehn: Wir haben mit den jüngsten Reformen ausgeschöpft, was ohne Vertragsänderungen geht. Die Kommission hat durch den verstärkten Stabilitätspakt wirksame Durchgriffs- und Sanktionsrechte bekommen. Die werden wir nun anwenden und dann über weitere Schritte nachdenken.

Herr Rehn, wären Sie nicht der natürliche Kandidat für einen hauptamtlichen Eurogruppenvorsitz?

Rehn: Mein Hauptziel ist ein starkes Mandat als Abgeordneter im neuen EU-Parlament. Ich bin aber auch der Kandidat der Liberalen für einen EU-Spitzenposten in der Wirtschafts- oder Außenpolitik. Es ist zur früh, vor der Wahl über Posten zu spekulieren. Nur soviel: Sollte man mir den Eurogruppenvorsitz anbieten, würde ich nicht ablehnen.

Verbraucherschützer und linke Parteien machen im Wahlkampf gegen ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA mobil, weil sie sinkende Schutzstandards etwa bei Lebensmitteln fürchten. Zu Recht?

Lambsdorff: Wenn die linken Parteien wirklich etwas gegen die viel zu hohe Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa tun wollen, sollten sie für das Freihandelsabkommen kämpfen und nicht dagegen. Der Vertrag eröffnet einen riesigen Absatzmarkt für europäische Lebensmittel - von griechischem Feta bis zu italienischem Wein. Die kann sich ein normaler Amerikaner zurzeit kaum leisten. Viele dieser Produkte kommen aus den Krisenländern und könnten dort Wachstum und Jobs bringen. Außerdem: Das Abkommen muss vom EU-Parlament gebilligt werden. Wenn EU-Verbraucherschutzstandards darin verwässert würden, wird es kein "Ja" geben.
Rehn: Das Freihandelsabkommen ist nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch wichtig. Mit Blick auf die russische Power-Politik in der Ukraine-Krise muss Europa die strategische Partnerschaft mit Amerika stärken.

Und was ist mit dem Datenschutz nach der NSA-Abhöraffäre?

Lambsdorff: Wir Liberalen wollen, dass die Verhandlungen über den Freihandel und ein neues Datenschutzabkommen parallel geführt und abgeschlossen werden. Für uns ist beides verbunden. Kein "Ja" zum Freihandelsabkommen ohne starken Schutz europäischer Daten in den USA.

In der Ukraine-Krise erhöhen die USA und die EU gemeinsam seit Wochen den Druck aus Russland - mit mäßigem Erfolg. Ist es nicht Zeit für Wirtschaftssanktionen, um Putin zu stoppen?

Rehn: Die Lage ist sehr ernst und die EU muss unbedingt zusammenhalten. Es gibt Vorbehalte gegen Wirtschaftssanktionen, weil nicht alle Länder gleich stark von den Folgen betroffen wären. Das können wir nicht ignorieren. Die bisherigen Strafmaßnahmen zeigen Wirkung. Russlands Wirtschaft ist in der Rezession und die Märkte sanktionieren Moskau längst. Die Bonität liegt knapp über Ramschniveau. Wir müssen den Druck aufrecht erhalten und gleichzeitig an einer diplomatischen Lösung des Konflikts weiterarbeiten. Aber wir sollten uns keine Illusionen machen, was Wladimir Putins Verhältnis zum Westen angeht. Er will der Master einer Eurasischen Union werden. Europa muss sich auf eine lange Phase der Spannungen in den Beziehungen zu Russland einstellen.

Lambsdorff: Wenn Putin seine Eskalationspolitik weiter treibt - und etwa die Wahlen am 25. Mai gestört werden - muss es Wirtschaftssanktionen geben. Das würde auch die deutsche Wirtschaft mittragen. Denn wir können einen so massiven Angriff auf unsere freiheitliche westliche Ordnung nicht zulassen. Ich bezweifele aber, dass die Bundesregierung ausreichend auf die Folgen vorbereitet ist - etwas was die Versorgungssicherheit angeht. Warum etwa hat Deutschland immer noch kein Flüssiggas-Terminal?

Apropos Versorgungssicherheit: Braucht Europa eine Energieunion, die etwa einen einheitlichen Gaspreis für alle EU-Staaten verhandelt?

Lambsdorff: Wenn alle 28 EU-Staaten gemeinsam mit Gazprom verhandeln, kann Wladimir Putin nicht mehr nach dem Prinzip "Teile und herrsche" die EU-Länder gegeneinander ausspielen wie bisher. Das wäre ein guter Anfang. Um die hohen Energiepreise in Deutschland runterzubringen, brauchen wir aber auch einen echten Energiebinnenmarkt. Warum können wir in Deutschland zwar holländischen Käse und italienische Autos, aber keinen finnischen Strom kaufen? Der kostet nur halb soviel.
Rehn: Eine Energieunion ist ein gutes Ziel. Denn wir brauchen mehr Einheit im Energiebereich _ das schließt einen echten Binnenmarkt und mehr Kuppelstellen an den Grenzen für ein wirklich europäisches Netz mit ein Und wir müssen die Abhängigkeit von russischem Öl und Gas durch alternative Quellen reduzieren: dazu gehören etwa Wind, Sonne, Wasser, Holz oder Biokraftstoffe der zweiten und dritten Generation. Und machen wir uns nichts vor: auch C02-arme Atomenergie wird für lange Zeit noch eine wichtige Rolle im Energiemix Europas spielen.

Herr Rehn, Sie waren mal Erweiterungskommissar. Braucht die EU eine Erweiterungs-Pause?

Rehn: Keins der Kandidaten-Länder ist in den kommenden fünf Jahren reif für einen Beitritt. Aber wir brauchen die Erweiterungspolitik als Instrument der Stabilisierung. Wenn etwa die baltischen Staaten nicht in der EU wären oder Serbien nicht so klar auf westlichem Kurs, würde sich Putin mit seiner geostrategisch geprägten Power-Politik wohl noch viel schlimmer verhalten.

Und was ist mit der Türkei?

Lambsdorff: Die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei müssen gestoppt werden. Ankara hat sich in zehn Jahren Gesprächen immer weiter von westlichen Werten wie Rechtsstaatlichkeit, Meinungs- und Pressefreiheit entfernt statt sich anzunähern. In der Türkei sitzen mehr Journalisten im Gefängnis als im Iran oder in China. Wir sollten uns in der Zusammenarbeit mit Ankara auf die Felder konzentrieren, wo wir gemeinsame Interessen haben: etwa in der Außen- und Energiepolitik.

Meinungsforscher sagen Populisten und Anti-EU-Kräften bis zu einem Viertel der Sitze im neuen EU-Parlament voraus. Droht die Handlungsunfähigkeit?

Rehn: Ich glaube, dass die Ukraine-Krise den pro-europäischen Parteien zugute kommt, weil die Menschen merken, dass Frieden nicht selbstverständlich ist.

Lambsdorff: Ich fürchte keine Lähmung. Wir werden aus der demokratischen Mitte des Parlaments heraus mit wechselnden Mehrheiten weiter pro-europäische Politik machen können. Die Populisten und Anti-EU-Kräfte sind zu uneinig und heterogen, um wirklich stark sein zu können.

Was muss die EU denn ändern, um den Populisten das Wasser abzugraben?

Lambsdorff: Warum muss in Brüssel über Kaffeemaschinen oder Glühbirnen entschieden werden? Dieser Unsinn geht den Menschen auf die Nerven. Die Ökodesign-Richtlinie, die all dies gebracht hat, muss weg

Aus welchen größeren Bereichen sollte die EU aussteigen?

Lambsdorff: Sport und Tourismus gehören definitiv nicht nach Brüssel. Die Sozialpolitik auch nicht. Sozialdemokrat Martin Schulz und Christdemokrat Jean-Claude Juncker liefern sich im Wahlkampf dort einen Überbietungswettbewerb der Versprechungen. Dabei werden Erwartungen geweckt, die nicht erfüllt werden können. Es gibt nun einmal keine einheitliche Sozialpolitik, die von Bremen bis Bratislava funktioniert. Für die FDP ist klar, dass Sozialpolitik eine nationale Zuständigkeit bleiben muss.Extra: zur Person


Der Liberale Olli Rehn (52) ist seit Februar 2010 EU-Kommissar für Wirtschaft und Währung. Er spielte eine Schlüsselrolle im Kampf gegen die Schuldenkrise. Der Finne ist derzeit von der Kommission unbezahlt beurlaubt, weil er bei den Wahlen Ende Mai als Abgeordneter für das Europaparlament kandidiert. Zudem ist er der Spitzenkandidat der europäischen Liberalen für einen Führungsposten im Wirtschafts- und Außenpolitikbereich - etwa der Eurogruppenvorsitz. Spitzenkandidat der EU-Liberalen für den Chefsessel der Kommission ist hingegen Belgiens Ex-Premier Guy Verhofstadt.

Alexander Graf Lambsdorff (47) ist der deutsche Spitzenkandidat der FDP für die Europawahl. Der Neffe des liberalen Urgesteins Otto Graf Lambsdorff schlug die Diplomatenlaufbahn ein, bevor er 2004 ins Europaparlament gewählt wurde. Dort führt er die FDP-Abgeordneten und hat sich als Außenpolitik-Experte einen Namen gemacht. Im Wahlkampf sorgte der Hobbykicker für Wirbel, weil er Schalke 04 aufforderte, wegen des russischen Vorgehens in der Ukraine-Krise ohne das Logo des Staatskonzerns Gazprom aufzulaufen.

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