Hilfe, die Jecken kommen!

Trier/Köln · Mit dem Vertilgen der Vorräte vor der Fastenzeit hat alles begonnen. Heute ist Karneval vor allem eines: eine riesengroße Party. Wie es dazu kam, wissen die Jecken aus Köln am besten. Der TV sprach mit zwei Historikern aus dem Rheinland.

Die einen stehen bereit, voller Ungeduld, mit bunter Schminke im Gesicht und Karnevalsmusik in den Ohren. Die anderen seufzen und verdrehen beim Gedanken an Kamelle, Funkenmariechen und süßem Fettgebäck nur die Augen. Karneval, wie er heute im Rheinland und in der Region gefeiert wird, polarisiert. Was für viele nur eine ausgelassene Sause mit viel Alkohol ist, hat einst als fester Bestandteil im christlichen Jahreslauf begonnen – und ernährt heute als Arbeitgeber tausende Menschen in Deutschland.

„Der Karneval stammt keinesfalls aus antiker Zeit“, sagt Dr. Alois Döring vom Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte des Lanschaftsverbands Rheinland (LVR) in Bonn. Der Historiker hat sich unter anderem wissenschaftlich mit den rheinischen Bräuchen beschäftigt. Mit römischen Festen wie den Bacchanalien (Ausufernde Feiern zu Ehren des römischen Gottes Bacchus) oder germanischen Kulten wie der Winteraustreibung habe das Narrentreiben in Deutschland nichts zu tun.

Vielmehr bilde der Karneval das Schwellenfest vor der vierzigtägigen vorösterlichen Fastenzeit. Die Speisen, auf die die Christen während der Fastenzeit verzichteten, mussten vorher gegessen werden, damit sie nicht verdarben. „Dieses Fest ist bald nach der endgültigen Festlegung der Fasten- und Ostertermine durch die Kirche entstanden und verbreitete sich im ganzen christlichen Europa“, ergänzt Dr. Michael Euler-Schmidt vom Kölner Stadtmuseum.

Das große Fressen am Vorabend einer wochenlangen, religiös motivierten Diät: „Darauf weist auch schon der Name ‚Fastnacht’ hin“, so Döring. Weitere Elemente der Fastnacht kamen schnell hinzu: Musikanten und Spielleute, Tänze und Wettkämpfe sollten bei den öffentlichen Gelagen im 14. und 15. Jahrhundert für Unterhaltung sorgen.

Einen tiefen Wandel vollzog die Einstellung der katholischen Theologie zum Karneval zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Das närrische Treiben wurde als verkehrte, unheilvolle Welt deklariert und als Negativbeispiel der Fastenzeit gegenübergestellt. „Die Fastnacht führte den Gläubigen noch einmal eine gottferne Welt vor Augen, bevor die Fastenwochen begannen“, so Döring. Im 17. und 18. Jahrhundert nutzte auch der Hochadel Europas den Karnevalstermin zu repräsentativen Maskenbällen.

Einen tiefen Einschnitt erfuhr der Karneval in unseren Breitengraden mit dem Einmarsch der französischen Revolutionstruppen im 18. Jahrhundert. Die Franzosen verboten den öffentlichen Karneval aus Sicherheitsgründen und auch, um den Geist der Aufklärung zu wahren. Erst im 19. Jahrhundert fand sich in einer Kölner Gaststätte eine Gruppe von Männern zusammen, die die alten Bräuche wiederbelebte – mit dem Unterschied, dass man nun begann, Obrigkeiten wie die preußische zu verspotten. Die christliche Bedeutung rückte in den Hintergrund. „Damit war der Siegeszug des in Köln reformierten Karnevals nicht mehr aufzuhalten“, sagt Alois Döring. Die Narren trotzten der kirchlichen Kritik des 19. Jahrhunderts, das Fest überlebte die karnevalslose Zeit der Weltkriege und in der anschließenden Besatzungszeit. Woran das liegt, erklärt Euler-Schmidt: „Für viele Menschen hatte und hat der Karneval immer noch eine Ventilfunktion.“ Gerade in schlechten Zeiten bietet das bunte Treiben Gelegenheit, seine Sorgen und Nöte zumindest bis Aschermittwoch zu vergessen.

Heute ist der Karneval aus dem Rheinland nicht mehr wegzudenken, und das auch aus wirtschaftlichen Gründen. 5.000 Arbeitsplätze alleine in Köln werden, so eine Studie der Boston Consulting Group, durch den Karneval gesichert. Neben der Gastronomie profitieren Kostümhersteller, Taxi-Unternehmen und der Einzelhandel in den Karnevalshochburgen von den Jecken. Nach Informationen des WDR sind 2009 150 Tonnen Süßigkeiten und Strüßjer alleine beim Kölner Rosenmontagszug geworfen worden.

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