Verstärkung entpuppt sich als U-Boot

Wittlich · Frauen an die Macht: In Wittlich haben die Möhnen das Rathaus gestürmt und die Herrschaft an sich gerissen. Da half Bürgermeister Joachim Rodenkirch auch die Unterstützung von CDU-Chefin Julia Klöckner nicht. Er musste den Stadtschlüssel herausrücken. Das Volk feierte die Übernahme ausgelassen und friedlich.

Wittlich. Beherzt setzt Martine Wells ihren Fuß auf die erste Stufe der Holzleiter, prüft deren Standfestigkeit. Die Herren der Schöpfung, in Person der Wittlicher Feuerwehrmänner, hatten dem weiblichen Geschlecht Hilfestellung geleistet, die Leiter über den Marktplatz geschleppt und ans alte Rathaus gelehnt. Dem charmanten Zwang der Möhnen können sie nicht widerstehen.
Behände klettert Wells zum Rathausfenster hinauf, hinter dem sich Bürgermeister Joachim Rodenkirch, getarnt als Pirat, und sein Stadtrat verschanzt haben. Dabei zeigt sie - zur Freude Hunderter Wittlicher auf Marktplatz und in Neustraße - viel Bein.
Ein energisches Klopfen ans Fenster - schon öffnet es sich. Hilfreiche Hände strecken sich der Möhne entgegen und ziehen sie hinein. Schließlich lässt ein echter Kavalier auch noch so feindlich gesinnte Damen bei Temperaturen um den Gefrierpunkt nicht draußen frösteln. Natürlich gibt es für sie ein Küsschen - auch wenn der Bürgermeister dabei unwillig das Gesicht verzieht.
Nach und nach steigen die sieben Möhnen, unterstützt von fünf MEKlerinnen, dem Möhnen-Ersatzkommando, ins Warme. Auch Martha Lex, mit 72 Jahren die älteste Aktive, erklimmt die Leiter.
Der Rathaussaal füllt sich, die Damen gewinnen die Oberhand. Sie schleppen Bürgermeister und Rat aus dem Raum, die Treppe hinunter, vorbei am "Kreiau!"-rufenden Volk auf die Bühne. Dort geht es zuerst der Krawatte des Bürgermeisters an den Kragen. Dann übergibt Rodenkirch widerwillig den Stadtschlüssel an Obermöhne Jutta Weisenfeld. Dabei habe er sich vorgenommen, dass die Damen es diesmal nicht schaffen, sagt der Ex-Stadtchef. Dazu habe er sich Verstärkung aus Mainz mitgebracht: Julia Klöckner, CDU-Chefin im Landtag. Doch die entpuppt sich als U-Boot und hilft den Geschlechtsgenossinnen. Denen ist jedes Mittel Recht, das zum Ziel führt: Es besser machen als der alte Stadtvorstand. "Wir wissen Bescheid, wie man so eine Verwaltung leitet”, sagt Weisenfeld. Schließlich seien Frauen auf Haushalt getrimmt, "damit die Kasse immer stimmt". Unterstützt werden sie bis Aschermittwoch vom Dreigestirn: Jungfrau Addi Kaspari, Prinz Elfriede Ambrosius und Bauer Wolfgang Metzen.
Auch der Nachwuchs ist angetan von der Damengewalt. "Ich fand es lustig, wie der Bürgermeister rausgeschmissen wurde", sagt Nele-Marie (8). Sie ist mit ihrer Klasse aus der Georg-Meistermann-Schule dabei und hat fleißig Mäusespeck und Gummibärchen gefangen, die die ehemals Stadtvorderen aus den Rathausfenstern warfen. Hunderte Wittlicher, verkleidet als Piraten, Cowboys, Teufel, Hippies, Wildtiere, Pilze oder - typisch Wittlicher - Schweinchen singen und schunkeln mit der alten und neuen Herrschaft bis in den Nachmittag auf dem Marktplatz. Sie halten es wie Klöckner: "Warum soll man den Tag in Mainz verbringen, wenn man in Wittlich sein kann?"

Weitere Bilder und Texte:

volksfreund.de/fastnacht

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