Jean-Claude Junckers Visionen für Europa

Brüssel · In wenigen Wochen sind 400 Millionen Menschen aufgerufen, ein neues Europaparlament zu wählen. Auch Ex-Euro-Retter Juncker will Chef der EU-Kommission werden. Und er hat klare Ziele.

Brüssel. Es gibt Fragen, die kann Jean-Claude Juncker nicht mehr hören. So wird dem Spitzenkandidaten der europäischen Konservativen für die Europawahl beharrlich nachgesagt, er wolle gar nicht wirklich Präsident der Brüsseler EU-Exekutive, sondern lieber Ratspräsident werden. Also Chef eben jenes Gipfelklubs der Regierungschefs, dem der Luxemburger Ex-Premier selbst 18 Jahre angehört hat.
"Ich habe einen Hang zum Masochismus. Der ist aber nicht so groß, dass ich mir den Wahlkampf für ein Amt antue, das ich gar nicht haben will", unterstrich Juncker gestern bei einer Pressekonferenz zur heißen Kampagnen-Phase in Brüssel. Dort stellte er auch die fünf Schwerpunkte seines "Regierungsprogramms" vor, sollte er nach den Wahlen Kommissionspräsident werden. Der Luxemburger will Wachstum und Jobs in den Mittelpunkt seiner Politik stellen. Seine Top-Priorität, um das zu erreichen, ist die Schaffung eines digitalen Binnenmarktes. "Wir können dadurch 500 Milliarden Euro zusätzliches Wachstum in den nächsten fünf Jahren erreichen", kündigte er gestern an. Verbraucher sollten etwa überall in Europa auf ihren Smartphones oder Tablets Zugang zu Musik, Sportübertragungen und Filmen haben - ohne Grenzen.
Angesichts der Ukraine-Krise und der hohen Abhängigkeit der EU von russischem Gas fordert Juncker zudem eine Energieunion. "Wenn der Preis für Energie aus dem Osten zu hoch wird - entweder politisch oder ökonomisch, dann sollte Europa auf andere Versorgungskanäle ausweichen können", so Juncker. Eine Verringerung von Europas Energieabhängigkeit sei überfällig. Damit gibt er Polens Premier Donald Tusk Rückenwind. Der forderte jüngst eine EU-Zentrale, die Gas für alle 28 Mitgliedsländer einkauft, und einen Solidaritätsmechanismus, über den EU-Staaten bei Gasengpässen unterstützt werden, was in Berlin auf Skepsis stieß.
Der langjährige Euro-Gruppenchef Juncker will zudem die Währungsunion weiter vertiefen. Die Europäische Zentralbank habe bei der Euro-Rettung eine zentrale Rolle gespielt, könne aber nicht eine Ersatzregierung des Währungsklubs sein. Das sei Aufgabe der Kommission und der Euro-Gruppe selbst - die dafür einen hauptamtlichen Präsidenten brauche. Die Euro-Zone müsse sich auch um Probleme wie zu hohe Wechselkurse kümmern.Europawahlen 2014


"Wir sollten das nicht vergessen für den Fall, dass der Euro-Kurs weiter steigt und ein Problem für das Wachstum wird." Zudem will Juncker künftige Sparprogramme für Pleite-Länder auch auf ihre sozialen Folgen prüfen lassen. Der Luxemburger möchte ferner einen Finanztopf schaffen, der Euro-Zonen-Ländern im Notfall soziale Probleme von Strukturreformen abfedern hilft. Last but not least will Juncker Großbritanniens Veto zur nötigen politischen Vertiefung der Währungsunion verhindern, indem er London noch mehr Sonderrechte innerhalb der EU gewährt. "Meine rote Linie ist die Integrität des Binnenmarkts und seiner vier Freiheiten", so Juncker. Das bedeutet: der freie Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Arbeitnehmern. Über alles andere könne man reden. Er wolle Großbritannien mit einem "fairen Deal" in der EU halten. "Denn mit Großbritannien ist die EU stärker als ohne."

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