Kolumne Backes Herrmann Ein leichtes Manifest, oder: Warum es in Trier keine Revolution gibt

Trier · Alles verstanden? Oder doch nicht? Backes Herrmann setzt sich mit dem Kommunistischen Manifest des Trierer Revolutionärs Karl Marx auseinander - oder zumindest mit der Version in „Leichter Sprache“. Mehr in der neuesten Kolumne von Frank P.Meyer.

Ein leichtes Manifest, oder: Warum es in Trier keine Revolution gibt
Foto: TV/privat

„Jetzt hab ihn endlich verstanden“, sagt der Backes Herrmann, „War gar nicht so schwer.“

„Wen verstanden?“

„Na, unseren Marx. Seine Theorie. Seine Philosophie.“

„Herrmann, ist alles in Ordnung mit dir?“

„Oh ja, ich habe das Kommunistische Manifest gelesen, gestern in der Mittagspause. Und habe alles verstanden. Endlich. Hier, schau mal.“ Er hält mir ein Buch mit Ringbuchbindung unter die Nase: Manifest der Kommunistischen Partei, von Karl Marx und Friedrich Engels. In Leichter Sprache.

„Leichte Sprache? Ist das nicht eine Variante des Schriftdeutschen, bei der kurze Subjekt-Prädikat-Objekt-Sätze mit nur einer inhaltlichen Aussage pro Satz und keine Fremdwörter verwendet werden? Ich dachte, Leichte Sprache sei erfunden worden, um barrierefreies Lesen zu ermöglichen für Leute mit kognitiven Einschränkungen oder einer problematischen Lesesozialisation?“

„Problematische Lesesozialisation? Ob das auf mich zutrifft? Ich lese seit meiner frühesten Jugend täglich den Volksfreund.“

„Ja, aber nur den Sportteil.“ – „Und ‚Lucky’, die Kindernachrichten.“ – „Eben, und beides ist lesesozialisationstechnisch völlig unbedenklich. Aber was ist jetzt mit dem Kommunistischen Manifest? Was hast du verstanden?“

Der Herrmann hält ein flammendes Plädoyer für die Klarheit und Eindeutigkeit, die aus dem an vielen Stellen doch arg verschwurbelten Marx-Engels Text herausdestilliert werden können. „Der Kommunismus ist eine Idee“, zitiert der Herrmann aus dem Leichten Manifest, „Die Idee ist: Es soll eine bessere Welt geben. Zum Beispiel: Alles soll gerechter werden. Alle Menschen sollen frei sein. Reiche sollen arme Menschen nicht unterdrücken. Das heißt: Reiche sollen Arme nicht schlecht behandeln. Klingt vom Stil her fast wie die 10 Gebote.“ Der Herrmann zitiert aufgeregt weiter: „Die Reichen sollen nicht alles allein bestimmen. Am besten sollen alle Menschen gleich viel besitzen Da fragt sich doch, was es daran in den letzten 150 Jahren zu interpretieren gab?“

„Bist du nicht ein bisschen zu euphorisch? Ich finde es ja auch gut, dass es vom Kommunistischen Manifest eine Ausgabe gibt, die auch Leute lesen können, die sich den Originaltext niemals ansehen würden. Ich frage mich nur: Wenn der Kommunismus so einfach erklärbar ist, warum haben Marx und Engels nicht genau das getan: ihn einfach erklärt?“ Der Herrmann gibt zu, dass er inzwischen nochmal in seine alte, mit vielen handschriftlichen Randnotizen versehene Reclam-Ausgabe des Manifests geschaut und dabei Sätze gefunden hat, die mehr inhaltliche Aussagen transportieren als manches Boulevard-Blatt von Seite 3 bis 5. Aber auffällig sei schon, dass Marx und Engels zumindest Teile des Manifests in so kurzen Sätzen und klaren Worten formuliert haben, dass die Übersetzung in Leichte Sprache gar nicht so kompliziert gewesen sein dürfte.

„Und bist du jetzt, als Manifestversteher, auch überzeugter Kommunist?“

„Ach woher! Die Idee zu verstehen heißt doch nicht, sie umsetzen zu wollen. Zumal ich ja, dank des Manifests in Leichter Sprache, auch verstanden habe, wieso das mit der Theorie der Revolution heutzutage nicht mehr klappen wird, schon gar nicht in Tier: Hier, lies das: „Marx und Engels sagen: Die Klasse von den Arbeitern ist die wichtigste Klasse für die Revolution. Es gibt noch andere Gruppen in der Gesellschaft. Diese Gruppen sind auch gegen die Fabrikbesitzer: Besitzer von kleinen Läden. Handwerker. Bauern.“ Der Herrmann sieht mich triumphierend an. „Verstehst du nicht? Wenn wir das hier ernst nehmen, wird doch deutlich: In Trier fehlt das revolutionsrelevante Personal. Wo sind denn hier die Arbeiter? Jeder der kann, arbeitet in Luxemburg und größere Fabriken gibt’s hier kaum noch. Die Gruppe der Besitzer von kleinen Läden in der Trierer Innenstatt schrumpft täglich: Hüte Georg gibt es leider nicht mehr, der nette Tabak- und Zeitschriftenladen ‚Ante Porta’ in der Paulinstraße hat auch zugemacht und wer weiß, wie lange Gisela und ihr Airdale-Terrier den Schirmladen in der Neustraße noch betreiben. Die Handwerker kannst vergessen, die kämen wahrscheinlich nicht einmal zu einer Revolution zum vereinbarten Termin und Bauern gibt es in der Region Trier gefühlt genau drei – den Greif, den Grundhöfer und Kleinbauer Fusenig – und bei denen sehe ich keinerlei aufrührerisches Potenzial. Nein, Trier ist kein Nährboden für kommunistisch-revolutionäre Ideen. Deshalb ist Marx ja auch ab nach Paris und London, und die sind Schuld, dass alles schief gelaufen ist bei der Umsetzung der Theorie in die Praxis, und wir können in Ruhe den Marx feiern, denn hier ist er ja nur geboren und aufgewachsen.

„Leihst du mir das leichte Manifest mal aus?“, frage ich den Herrmann.

„Klar, ich kann es inzwischen eh fast auswendig. Bin schon gespannt auf die Fortsetzung.“

„Welche Fortsetzung?“

Na, aufs Kapital, Band 1-3, in Leichter Sprache. Ich brauche Lesestoff für die Mittagspause.“

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