Kommentar zur Wallfahrt: Trennendes zusammenführen

Trier · Und führe zusammen, was getrennt ist. Das Leitwort zur Heilig Rock Wallfahrt ist gut gewählt. Es passt in diese für die Katholische Kirche schwierige Zeit. Ein Kommentar von Volksfreund-Redakteur Michael Schmitz

Schwere Zeiten: Es gibt mehr Kirchenaustritte als Taufen in Deutschland. Es gibt - auch im Bistum Trier - eine größer werdende, offensiv auftretende Atheisten-Bewegung, die Kirchenaustritte provozierend als kleine Feste vor den Standesämtern inszeniert. Fast hat man den Eindruck, es gelte als schick, anti-klerikal zu sein und auf die Kirche bei jeder Gelegenheit einzuprügeln. Der Anteil der Katholiken an der Gesamtbevölkerung sinkt kontinuierlich. Die Missbrauchsskandale und der Umgang der Amtskirche mit Tätern wie Opfern werden auch von vielen überzeugten Gläubigen kritisch gesehen. In der Ökumene gibt es in zentralen Punkten kaum sichtbare Fortschritte. Und bei der Frage nach dem Frauenpriestertum hat der Papst erst kürzlich klargestellt, dass keinerlei Veränderungen möglich sind - und damit viele engagierte Laien enttäuscht.
Die Kirche sieht sich also - teils sicher zu Recht - heftiger innerer wie äußerer Kritik ausgesetzt, die gerade vor und während der Heilig-Rock-Wallfahrt provozierend, spöttisch und mitunter verletzend vorgetragen wird. Von "Fliehkräften", denen die Gesellschaft ausgesetzt sei, sprach gestern denn auch Bischof Stephan Ackermann - auch innerhalb der Kirche.
Auf der anderen Seite: Viele der genannten Probleme sind vor allem Probleme der Institution Kirche und ihrer Strukturen. Und zum Teil sicher auch des "Bodenpersonals". Doch nach wie vor gibt es im Bistum Trier Zehntausende von Menschen, denen abseits dieser Probleme der Glaube an Gott wichtig ist. Die sich - oft ehrenamtlich und karitativ - engagieren. Nicht in erster Linie der Institution Kirche zuliebe, sondern weil ihnen ihr Glaube wichtig ist und weil ihnen andere Menschen wichtig sind. Und es gibt zahlreiche gute Diakone und Priester, echte Seelsorger, die Nächstenliebe leben und für andere da sind. Viele der wohl gut 500 000 Menschen, die in den nächsten vier Wochen nach Trier kommen, kommen nicht, um ein Stück Stoff anzubeten, sondern um Gleichgesinnte zu treffen, Gemeinschaft zu erleben und sich ihres Glaubens zu vergewissern.
Die Aussichten: Die Wallfahrt in Trier wird sicher keine entscheidende Bewegung in die Ökumene oder innerkirchliche Streitfragen bringen. Es wäre aber schon viel wert, wenn sie etwas zur Annäherung derjenigen beiträgt, die die Auseinandersetzungen führen. Wenn rund um den Dom wieder eine so weltoffene, fröhliche und tolerante Atmosphäre entsteht wie bei der Wallfahrt 1996 - und die heitere Gelassenheit gestern deutete das schon an - dann ist das eine Chance, dass Kirchenkritiker und Kirche wieder etwas vernünftiger miteinander umgehen, mit Respekt statt mit Polemik und Hass. Vielleicht kann der Rock hier tatsächlich Trennendes ein wenig zusammenführen.
m.schmitz@volksfreund.de

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