Konservative bei Europawahl trotz Einbußen vorn - Rechte im Aufwind

Brüssel · Konservative vorn, Sozialdemokraten knapp dahinter, extreme Rechte gestärkt: Nach der Europawahl in 28 Ländern bleibt das Rennen um den Brüsseler Chefposten vorerst offen. In Deutschland droht der großen Koalition damit eine Belastungsprobe.

(dpa) - Die konservative Europäische Volkspartei (EVP) mit ihrem Spitzenkandidaten Jean-Claude Juncker hat die Europawahl gewonnen. Eine Hochrechnung des Europaparlaments bestätigte am späten Sonntagabend weitgehend eine zuvor veröffentlichte Prognose: Demnach kommt die EVP auf 28,23 Prozent, gefolgt von den Sozialdemokraten mit 24,63 Prozent

Aus der Europawahl in den 28 Ländern der Gemeinschaft ist die konservative Europäische Volkspartei (EVP) mit ihrem Spitzenkandidaten Jean-Claude Juncker als stärkste Kraft hervorgegangen. Nach der jahrelangen Eurokrise legten zugleich rechtsorientierte und populistische Parteien stark zu. In Deutschland verteidigten die Unionsparteien ihre Vorrangstellung - allerdings bei herben CSU-Verlusten. Die SPD mit Junckers Rivalen Martin Schulz legte am Sonntag nach ihrem Tief vor fünf Jahren kräftig zu. Das Rennen um den EU-Chefposten blieb offen. In der Berliner Koalition begann noch am Wahlabend ein Tauziehen um die Personalie.

Der konservative Parteienblock EVP errang nach der vom Europaparlament veröffentlichten Prognose 28,1 Prozent der Stimmen - deutlich weniger als 2009 (35,77 Prozent). Die Sozialdemokratische Partei Europas (SPE) mit ihrem Spitzenkandidaten Schulz kam mit 25,7 Prozent auf Platz zwei. Auf Platz drei liegen die Liberalen mit 9,85 Prozent. Rechtsaußen-Parteien kamen auf insgesamt rund 18 Prozent. In Frankreich wurde die rechtsextreme Front National (FN) mit rund 25 Prozent sogar stärkste Kraft. Ob es im EU-Parlament nun eine neue rechte Fraktion geben wird, ist ungewiss.

Mit dem EVP-Sieg sind Junckers Chancen auf den Posten des EU-Kommissionspräsidenten gestiegen. EVP-Fraktionschef Joseph Daul sagte am Sonntagabend in Brüssel: „Die EVP wird ihren Kandidaten als Kandidaten für die Präsidentschaft der Kommission vorschlagen.“ Allerdings beanspruchten die Sozialdemokraten den Posten für Schulz. SPD-Chef Sigmar Gabriel sagte: „Das Wahlergebnis hat einen Namen, und der lautet Martin Schulz.“ Die Staats- und Regierungschefs, die den Chef der Brüsseler Behörde vorschlagen, müssen das Wahlergebnis berücksichtigen. Bis die Personalentscheidung steht, könnte es aber noch Wochen dauern.

In Deutschland erreicht die Union von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nach den Hochrechnungen von ARD und ZDF vom späten Abend 35,4 bis 35,6 Prozent - ihr schlechtestes Europa-Ergebnis seit 1979, noch weniger als 2009 (37,9) und auch deutlich schwächer als bei der Bundestagswahl im September (41,5). Diese Verluste gehen allein auf das Konto der CSU, die in Bayern rund acht Prozentpunkte einbüßt. Die SPD verbessert sich auf 27,2 Prozent - sie hatte 2009 allerdings mit 20,8 Prozent auch ihr schlechtestes Europawahl-Ergebnis eingefahren. Die Sozialdemokraten liegen nun in der Wählergunst besser als bei der Bundestagswahl (25,7).

Die Grünen verlieren auf 10,8 Prozent (12,1). Die Linke erreicht wie vor fünf Jahren 7,4 bis 7,5 Prozent. Die FDP stürzt wie zuvor schon bei der Bundestagswahl nun auch auf EU-Ebene ab und kommt nur auf 3,1 bis 3,3 Prozent (11,0). Die euroskeptische Alternative für Deutschland (AfD) schafft es bei ihrer ersten Europawahl mit einem starken Ergebnis von 6,8 bis 7,1 Prozent ins Parlament - ein wichtiger Erfolg auch mit Blick auf die Landtagswahl Ende August in Sachsen, bei der die neue Partei ihre Position in der deutschen Politik verankern will.

Nach den Hochrechnungen ergibt sich folgende deutsche Sitzverteilung im EU-Parlament: CDU/CSU 35 Mandate, SPD 27, Grüne 11, Linke 7, FDP 3 und AfD 7. Die Bundesrepublik als größtes EU-Land stellt 96 der künftig 751 EU-Parlamentarier. Sie sind für fünf Jahre gewählt. Diesmal hatten auch Kleinparteien eine Chance, weil im Februar das Bundesverfassungsgericht die Sperrklausel für die Europawahl gekippt hatte. So erreichte die rechtsextreme NPD einen Sitz, ebenso Piraten, Freie Wähler, Tierschutzpartei, Familienpartei und ÖDP.

Mit knapp 48 Prozent zeichnete sich am Abend in Deutschland eine bessere Wahlbeteiligung als 2009 (43,3) und 2004 (43,0) ab. EU-weit blieb die Beteiligung mit 43,1 Prozent konstant niedrig. Insgesamt waren in den 28 Staaten der Europäischen Union 400 Millionen Bürger aufgerufen, ihre Stimme abzugeben. Allein in Deutschland waren es 64,4 Millionen, darunter 2,9 Millionen aus anderen EU-Staaten.

Die Europawahl war nach Einschätzung der Forschungsgruppe Wahlen vor allem bundespolitisch geprägt. Für 54 Prozent war bei der Stimmabgabe die Bundespolitik entscheidend, nur für 40 Prozent die Europapolitik. Die Wahlforscher ermittelten, 72 Prozent der SPD-Wähler wollten Schulz als EU-Kommissionspräsidenten - aber nur 41 Prozent der CDU/CSU-Anhänger den EVP-Spitzenkandidaten Juncker.

Das Europaparlament hat wichtige Kompetenzen in der EU-Gesetzgebung und muss unter anderem dem jährlichen EU-Haushalt zustimmen.

In Frankreich gewann die rechtsextreme Front National (FN) die Europawahl. Nach europakritischem Wahlkampf konnte die Partei unter Marine Le Pen laut ersten Prognosen einen deutlichen Stimmenzuwachs verbuchen und kam auf 25 Prozent (2009: 6,3). Die regierenden Sozialisten mussten erneut eine schwere Schlappe hinnehmen: Die Partei von Präsident François Hollande landete bei etwa 14 Prozent (2009: 16,5) und damit hinter der konservativen UMP auf Platz drei.

Im Euro-Krisenland Griechenland wurde das oppositionelle Bündnis der radikalen Linken (Syriza) allen Prognosen zufolge stärkste Kraft. Es kommt es auf 26 bis 28 Prozent, noch vor der mit den Sozialisten regierenden konservativen Nea Dimokratia (23 bis 25). Auf Platz drei rangierte die rechtsradikale Goldene Morgenröte (8 bis 10).

In Dänemark wurde die rechtspopulistische Dänische Volkspartei stärkste Kraft. Laut Prognose kam die Partei auf rund 23 Prozent. Mit 20,5 Prozent erreichten die regierenden Sozialdemokraten von Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt das zweitbeste Ergebnis.

In Österreich verteidigte die konservative ÖVP laut Hochrechnungen mit 27,4 Prozent (2009: 30) Platz eins. Die sozialdemokratische SPÖ erreicht mit 23,8 Prozent ein Ergebnis wie vor fünf Jahren. Deutlich zugelegt hat die rechte FPÖ mit 19,5 Prozent (plus 6,9).

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