Kultur : 2020 – ein völlig verrücktes Jahr für die Kultur
Trier Ein kleines Wort, drei Silben, steht für DAS Deseaster aller Kulturschaffenden und -genießer im Jahr 2020. Es steht für Absagen, Schließungen und das Ende bisheriger Pläne. Corona hat das Leben aus den Angeln gehoben – vom großen Sinfoniekonzert bis zur kleinen Kirchenchorprobe. Doch machte die Not viele Kreative erfinderisch und bescherte dem Publikum völlig neue Erlebnisse.
„Ist ein Traum, kann nicht wirklich sein“. So stand es im Theater-Programmheft zur Oper „Rosenkavalier“, für die die Proben im März auf Hochtouren liefen. Doch die plötzliche Schließung des Trierer Theaters am 13. März war kein Traum und erwischte die Künstler kalt. Am Tag vor der Premiere wurde „Rituale“ abgesagt, der Tanzabend mit zwei Uraufführungen. „Das Stück ist so körperlich und so intensiv, da kann man keine Abstände einhalten“, erklärte Intendant Manfred Langner später. Solange die Corona-Pandemie sich verbreitet, hängt „Rituale“ in der Warteschleife. Ebenso der „Rosenkavalier“.
Wie dem Theater ging es den anderen Kultureinrichtungen, Bands, Kinos und freien Künstlern. Es prasselte Absagen von Konzerten, Bühnenshows, Ausstellungen. Chöre durften nicht proben, Instrumentalisten keinen Unterricht mehr nehmen. Abstände, Masken, Hygienekonzepte beherrschten überall die Agenda. Hauptberuflichen Künstlern ging das Auftrittsverbot besonders an die Substanz und brachte sie in existenzielle Nöte. Mehrere Betroffene erzählten dem TV, dass sie von ihren Rücklagen leben müssten und die von der Politik angekündigte Hilfen viel zu langsam, gering und bürokratisch kämen.
Doch die Not machte auch erfinderisch und brachte neue Formen der Begegnung und des künstlerischen Ausdrucks hervor – abgesehen von zahlreichen Solidaritätsaktionen. Daheim spielten Musiker ihren Part ein, aus dem dann ganze Orchesterbeiträge zusammengeschnitten und online verbreitet wurden. Schauspieler wie der Trierer Klaus-Michael Nix probten ihr Theaterstück via Skype mit der Regisseurin in Tel Aviv. Die Trierer Tufa bietet hauptberuflichen Künstlern während der Schließung ihre Räume und Technik an, damit sie dort ihren Streaming-Beitrag erarbeiten können (Streamfactory 2.0), der via Offenem Kanal verbreitet wird. Und sie appellieren an Zuschauer, für die Künstler etwas zu zahlen. Solidarisch empfinden auch die Gründer der Initiative „30 für Trier“, die mit einem geplanten großen Benefizkonzert in Not geratenen Künstlern helfen wollen. Allerdings steckt sie wegen bürokratischer Hürden noch im Aufbau fest.
War Zoom bis zu Corona für viele nur die Vergrößerungsfunktion auf der Kamera, tummelt sich seit dem Frühjahr die halbe Welt in Videokonferenzen mit der Zoom-App, übt dort Akkordeon, singt oder tauscht sich aus. Die traditionellen Weihnachtskonzerte von Thomas Schwab oder Guildo Horn liefen als Live-Stream.
Das Theater geht einen anderen Weg. Gestreamte Aufführungen kommen für Intendant Langner eher nicht in Frage. „Ich brauche das Live-Erlebnis“, sagte er. So entstand das Sommertheater im Brunnenhof in Trier, das open-air wochenlang für ausverkaufte Abende sorgte. Ebenso höchst erfolgreich: die Reihe „Jazz im Brunnenhof“. Ein neues Angebot setzten die Kulturkarawane und das Pianohaus Hübner mit „My urban piano“: Überall verteilt auf die Trierer Innenstadt luden bunt gestaltete Klaviere zum Spielen ein. Das Mosel Musikfestival wartete gleich mit einer Reihe von innovativen Formaten und Experimenten auf, die trotz der Umstände inspirieren sollten: Wandelkonzerte, bei denen jeder Besucher zu Klängen via Kopfhörer einen Weg beschreitet – ob im Museum oder auf den Moselhöhen. Oder eine mobile Bühne, „Rolling Tones“. „Wenn wir, und damit meine ich nicht nur das Mosel Musikfestival, nichts anbieten, verspielen wir die Kultur und nicht zuletzt auch einen Wirtschafts- und Standortfaktor“, sagte Intendant Tobias Scharfenberger. Zum Advent konnten Festival-Freunde sich täglich einen pfiffigen musikalischen Beitrag aufs Handy schicken lassen. Über den Offenen Kanal verbreitet Chorleiterin Julia Reidenbach derweil Mitsing-Konzerte – wenn schon all die Chöre schweigen müssen.
Zur Selbsthilfe griffen regionale Veranstalter nach der Schließung der Kinos. In Trier stellten Kinobetreiber Dirk Ziesenhenne, Winfried Kornberg (Pro Musik), Oliver Thomé (Popp-Concerts) und Oliver Neufang (Timeless Music & Events) das Autokino Carpitol im Messepark auf die Beine. Ähnliche Angebote gabs in Prüm, Bitburg, Daun und Wittlich.