Mehrheit für Schwarz-Gelb - SPD in Opposition

Berlin · Nach vier Jahren großer Koalition wird Deutschland künftig von Union und FDP regiert. Dank eines sensationellen FDP-Ergebnisses bei der Bundestagswahl am Sonntag kann Kanzlerin Angela Merkel (CDU) künftig mit ihrem Wunschpartner regieren - obwohl die Union nach den ersten Hochrechnungen von ARD und ZDF erneut schwach abschnitt.

Mit Überhangmandaten wurde für Schwarz-Gelb eine klare Parlamentsmehrheit von 320 bis 323 Sitzen errechnet. Rot-Rot-Grün kommt demnach auf 291 bis 296 Mandate. Die SPD mit Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier fuhr das schlechteste Ergebnis seit 1949 ein. Sie muss nach elf Jahren an der Regierung in die Opposition.

Die FDP unter ihrem Vorsitzenden Guido Westerwelle holte das beste Ergebnis ihrer Geschichte und kann erstmals seit 1998 wieder mitregieren. Grüne und Linke erzielten ebenfalls zweistellige Rekordergebnisse, können angesichts der höchsten Verluste der SPD bei einer Bundestagswahl Schwarz-Gelb aber nicht verhindern. CDU-Chefin Merkel wurde als sechster Regierungschef nach Konrad Adenauer (CDU), Willy Brandt, Helmut Schmidt (beide SPD), Helmut Kohl (CDU) und Gerhard Schröder (SPD) im Amt bestätigt.

Die Union konnte aber nicht von den hohen Popularitätswerten der Kanzlerin profitieren und erreichte nur das schlechteste Ergebnis seit 60 Jahren. Die CSU in Bayern erreichte nach einer Prognose des Bayerischen Fernsehens nur 41,0 Prozent - ihr schlechtestes Ergebnis bei einer Bundestagswahl seit 50 Jahren.

Nach ersten Hochrechnungen von ARD und ZDF kam die CDU/CSU auf 33,4 bis 33,5 Prozent (2005: 35,2), die SPD auf 23,0 bis 23,3 (34,2) und die FDP auf 14,6 bis 14,7 Prozent (9,8). Die Grünen erreichten 10,4 bis 10,6 Prozent (8,1), die Linken 12,6 bis 12,9 Prozent (8,7). Bei der Wahlbeteiligung zeichnete sich nach dem Negativrekord von 77,7 Prozent vor vier Jahren ein weiterer Rückgang ab.

Die Hochrechnungen bedeuten für die CDU/CSU 228 bis 229 Sitze (2005: 226) und für die SPD 144 bis 149 Sitze (222) im neuen Bundestag. Die FDP kann mit 92 bis 94 Mandaten (61) rechnen, die Grünen mit 65 bis 67 Mandaten (51) und die Linke mit 80 bis 82 Mandaten (54).
Bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein blieb die CDU unter Ministerpräsident Peter Harry Carstensen trotz erheblicher Verluste mit rund 31 Prozent stärkste Kraft und kann voraussichtlich dank eines hervorragenden FDP-Ergebnisses ebenfalls mit den Liberalen regieren. In Brandenburg lag die SPD von Ministerpräsident Matthias Platzeck gleichauf mit der Linken bei rund 30 Prozent. Dort könnte es zu einer erneuten Koalition mit der CDU oder aber zu einem rot-roten Bündnis kommen.

Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU) wertete das Wahlergebnis für die CDU/CSU als Erfolg. "Wir wollten raus aus der großen Koalition und wir wollten eine Koalition der Mitte", sagte er in der ARD. Das sei nun voraussichtlich gelungen. Es sei "ein gutes Ergebnis" für das Land. Kanzlerkandidat Steinmeier, der in der SPD- Zentrale frenetisch gefeiert wurde, kündigte an, er werde Oppositionsführer im Bundestag. "Das Ergebnis ist ein bitterer Tag für die deutsche Sozialdemokratie." Steinmeier sagte der neuen Regierung eine harte Opposition voraus: "Die haben jetzt zu beweisen, dass sie es können."

CSU-Vize Peter Ramsauer zeigte sich erfreut über die schwarz-gelbe Mehrheit: "Treue CSU-Wähler haben diesmal zuhauf FDP gewählt, um sicher zu gehen, dass es für Schwarz-Gelb reicht." Der stellvertretende FDP-Chef Rainer Brüderle will möglichst viele Forderungen seiner Partei in einer schwarz-gelben Koalition umsetzen. "Wir haben den höchsten Zuwachs aller Parteien. Damit ist ein hohes Maß von Verantwortung verbunden", sagte er.

Insgesamt waren am Sonntag 62,2 Millionen Bundesbürger zur Wahl aufgerufen. Für die 598 Sitze im Bundestag, die durch Überhangmandate zunehmen können, bewarben sich 3556 Kandidaten. Zugelassen waren 27 Parteien. Angesichts von 20 bis 30 Prozent unentschlossenen Wählern hatten die Parteien bis zuletzt um ihre Gunst gebuhlt.

Merkel hatte angekündigt, auch mit der FDP zu regieren, wenn Schwarz-Gelb nur durch solche zusätzlichen Sitze eine Mehrheit hat. Überhangmandate entstehen, wenn eine Partei in einem Bundesland über die Erststimme mehr Direktmandate holt als ihr Sitze nach dem Zweitstimmenergebnis zustehen.

Das Regieren könnte für Schwarz-Gelb erschwert werden, weil Union und FDP im Bundesrat nur dann eine Mehrheit haben, wenn es auch in Schleswig-Holstein nach der zeitgleich stattgefundenen Landtagswahl zu einem CDU/FDP-Bündnis kommt. Mit Bildung des Regierungsbündnisses von CDU und FDP in Sachsen hat das christdemokratisch-liberale Lager 33 Sitze im Bundesrat - die absolute Mehrheit liegt bei 35. Schleswig-Holstein verfügt im Bundesrat über vier Stimmen.

Dem Sonntag war ein spannungsarmer Wahlkampf vorausgegangen. Die SPD warf der Union vor, einer inhaltlichen Auseinandersetzung auszuweichen. Merkel stellte zwar die Frage, wie die Bundesrepublik erfolgreich aus der schärfsten Wirtschaftskrise ihrer Geschichte kommt, in den Mittelpunkt ihrer Kampagne. Die Krise spielte aber eine geringere Rolle als gedacht, unter anderem, weil die negativen Folgen für den Arbeitsmarkt durch die ausgeweitete Kurzarbeiterregelung abgemildert wurden. Die SPD stellte in einem von der Union als "unseriös" verworfenen "Deutschlandplan" in Aussicht, bis zu vier Millionen neue Arbeitsplätze zu schaffen. Die Grünen versprachen eine Million neue Jobs in Branchen wie erneuerbaren Energien oder Bildung.

Weitere Wahlkampfthemen waren die Atompolitik, der Bundeswehr- Einsatz in Afghanistan und die Steuerpolitik. Vor allem CSU und FDP pochten auf schnelle Steuersenkungen für Unternehmen und Bürger. SPD, Grüne und Linke lehnten diese angesichts einer Rekordneuverschuldung von 86 Milliarden Euro allein für den Bund im kommenden Jahr als unfinanzierbar ab. Sie plädierten unter anderem für höhere Steuern etwa für Spitzenverdiener und eine Steuer auf Börsengeschäfte.

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