Pinocchio und seine Posse

Ring-Tagebuch: Samstag, Teil 2 / Sonntag, Teil 1 - Zwischen Bloc Party, Jan Delay, Billy Talent und den Maskenmännern von Slipknot.

 Rock am Ring: Slipknot-Perkussionist Chris Fehn

Rock am Ring: Slipknot-Perkussionist Chris Fehn

Foto: Sven Eisenkrämer

Komisch, diese Leere. Eigentlich mag ich Bloc Party sehr gern. Aber die haben ein Problem: Sie spielen unmittelbar nach dem Hauptbühnen-Auftritt von The Prodigy auf der Alternastage. Das heißt auch: Unmittelbar nachdem der Körper reichlich Endorphin und Adrenalin ausgestoßen hat - und diese sedierten Körperzell-Beamten nun gerne ihre Ruhe hätten. Deshalb ist bei Bloc Party wenig zu machen. Zu weit weg. So wohl gedanklich als örtlich. Aus den hinteren Reihen kriegt die Band mich nicht. Die schaue ich mir lieber noch mal im Club an, da funktioniert die Band gut. Danach gibt’s einen Abstecher ins Club-Tent, in dem gerade Alexisonfire für verschwitzte Emo-Massen sorgt. Danach spielt Biffy Clyro. Gut ist am Zelt ohnehin nicht nur das Dach: Da dort zwei Bühnen nebeneinander aufgebaut sind, geht der Umbau jeweils recht fix. Danach kommen Biffy Clyro, die auf den uniformierten Look setzen: Nach Polarkreis 18 (ganz in Weiß) und White Lies (ganz in Schwarz) spielen Biffy komplett oben ohne. Keine Sorge, Sittenwächter: Es ist eine Jungs-Band, und es gibt auch keinen Guildo-Ekel-Effekt, der einem den Biergenuss madig machen könnte. Weiter mit Jan Delay: Während er gerade „Remmidemmi“ (Deichkind) covert, unterhalte ich mich mit einem Mädel, das klare Vorstellungen hat, was zu Rock am Ring gehört und was eher nicht. So was wie The Prodigy und Jan Delay zum Beispiel NICHT. Nun: Die Gralshüter des Rock werden mit Jan Delay vielleicht wenig anfangen können, aber ich finde die Show super: Sehr unterhaltsam, eine richtige Party auf der Alternastage. Und Hip Hop (sicher nicht mein Spezialgebiet) kommt in diesem Jahr ohnehin ziemlich kurz. Nach zehn Stunden und keine-Ahnung-wie-vielen-Bands ist aber der Punkt erreicht, wo bei mir nichts mehr geht: Gerade noch den Beginn von Mando Diao aus der Entfernung hören – und dann ins Bett. Der Vollständigkeit halber: Kollege Sven war bei Slipknot – und er war recht angetan. Auch wenn DJ Sid gefehlt habe und die Amerikaner demnach nur zu acht am Start waren. Gute Show, sagt er. Das bunte Maskentreiben eben, brachial und mit viel Theater. Auch wenn er meinen Bildunterzeilen-Vorschlag für sein Foto mit dem lustigen Slipknot-Percussionisten nicht so überragend findet: „Heute mal ohne Gepetto unterwegs: Chris Fehn“. Die ersten Eindrücke vom Sonntagabend: Kettcar (übrigens am 7. August in Trier auf der Exhaus-Sommerbühne) kabbelten sich ein bisschen mit den zeitgleich auf der Hauptbühne spielenden Guano Apes. Schöner Kettcar-Auftritt für die Fans der Anfangszeit: Balkon gegenüber, Ich danke der Academy, Lattenmessen (inklusive Death Cab for Cutie- und Cure-Cover), Landungsbrücken raus, Money left to Burn, Im Taxi weinen - da war das erste Album von Kettcar deutlich stärker vertreten als die folgenden beiden Platten. Auf der Hauptbühne ging es danach weiter mit Billy Talent: Und die Kanadier brachten richtig Schwung in die teilweise schon angeschlagene Sonntagabend-Gesellschaft: jede Menge Pogo, viel zum Mitsingen und Mitschreien - und vor dem brachialen "Line and Sinker" gibt es auch mal eine Gebrauchsanweisung von Sänger/Shouter Benjamin Kowalewicz: "Wenn einer auf dem Boden liegt, hebt ihn bitte auf". Das war aber auch beim ausgelassensten Tanz auch schon vorher eine Selbstverständlichkeit. Andreas Feichtner

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