Rock am Ring 2023 Rap am Ring – Wie viel Deutschrap verträgt ein Rockfestival?
Trier · Namen wie Apache 207, Kontra K oder Juju auf dem Line-Up von Rock am Ring sorgen bei eingefleischten Rockfans und Metalheads für Diskussionen. Dabei ging es in der Geschichte des Festivals selten nur um Rock und Metal. Wie sich das Festival über die Jahrzehnte verändert hat.
Techno von Scooter als Late Night-Special, EDM von Alle Farben oder Rapper Cro als unangekündigter Special Guest zum Jubiläum. Immer wieder probieren die Veranstalter von Rock am Ring neue und ungewohnte Wege, um das Festival interessant zu gestalten. Während viele Fans mehr Diversität feiern, stoßen anderen Fans manche musikalische Ausbrüche sauer auf. Vor allem Deutschrap-Künstler wie Kontra K oder Apache 207 im Line-Up 2023 polarisieren die Festivalbesucher. Ein Blick ins Archiv verrät jedoch: schon früh hat das Festival auch mit anderen Musikrichtungen experimentiert. Werfen wir also einen Blick in die Genre-Entwicklung von Rock am Ring.
Rock am Ring 1985 – Rock ohne Kompromisse
Die erste Ausgabe von Rock am Ring im Jahre 1985 machte seinem Namen noch alle Ehre. 17 Rockbands teilten sich damals eine Bühne, darunter Rocklegenden wie Joe Cocker, U2 oder Rick Springfield. Andere Genres waren weit und breit nicht zu sehen.
Zugegeben waren Musikrichtungen wie Deutschrap oder EDM noch nicht wirklich erfunden und auch Heavy Metal wurde erst im Laufe der 80er langsam populärer. Trotzdem hätten sich mit der „Neuen Deutschen Welle“ oder damals aufkeimenden Metalbands Alternativen finden lassen. Zum Start blieb das Festival dennoch puristisch: Rock und nichts als Rock wurde bei der Geburtsstunde von Deutschlands inzwischen größtem Rockfestival serviert.
Rock am Ring 1991 – Jazz, Funk und Soul am Nürburgring
Sechs Jahre später und nach zwei Jahren Pause zeigt sich das Festival schon deutlich bunter. Auch wenn die Rolle der Headliner immer noch fest in den Händen von Rockgrößen wie Toto oder Fury in the Slaughterhouse lag, gesellten sich inzwischen auch andere Genres dazu. Neben einigen Popmusikern wie Eros Ramazotti oder The Jeremy Days mischten sich auch Jazz- (Jonathan Butler), Soul- (Andrew Roachford) und Funkmusiker (Everyday People) in das Line-Up. Auf immer noch einer Bühne bestand so nur noch die Hälfte der 20 Acts aus Rockmusik.
Rock am Ring 1995 – Viel Rock … und Otto Waalkes
Vorgespult auf 1995 fand das Festival ein letztes Mal mit nur einer Bühne statt, angeführt von Headlinern wie Bon Jovi oder Van Halen. Die Pop- und Jazzmusiker, die vorher noch so zahlreich erschienen, waren verschwunden. Dafür trumpfte das Line-Up mit den Heavy-Metal-Urgesteinen Megadeth auf. Ein besonderer Gast: Otto Waalkes sorgte mit seinem musikalischen Comedy-Programm bei den Festivalbesuchern für ausgelassene Stimmung. Der Erfolg von Otto sollte in den kommenden Jahren noch vielen anderen Comedians den Weg ebnen.
Rock am Ring 2000 – Hip-Hop, Comedy und ein stetig wachsendes Festival
Kurz vor der Jahrtausendwende machte das Rockfestival am Nürburgring einen gewaltigen Sprung. Aus einer Bühne wurden vier. Die Anzahl der Bands verdreifachte sich in nur wenigen Jahren. So standen im Jahr 2000 89 Acts auf der Bühne. Damit vervielfachte sich auch gleichzeitig die Musikvielfalt.
Auch wenn über die Hälfte der Bands noch eingefleischte Rockmusikvertreter waren, wurde das Line-Up immer diverser. Heavy Metal sicherte sich seinen Platz am Ring und auch immer mehr Hip-Hop- und Rap-Künstler fanden den Weg in die Eifel. Neben harten Brettern wie Korn oder Slipknot sorgten Bands wie die Söhne Mannheims, Eurythmics oder Oasis für sanftere Klänge.
Besonders für das Festival im Jahr 2000 war außerdem die enorme Menge an Comedians. Ganze neun Stand-Up-Komiker von Atze Schröder über Mundstuhl und Chris Boettcher gaben ihre Pointen für die Besucher zum Besten.
Rock am Ring 2005 – Der Metal erobert den Ring
Was macht man, wenn einem Headliner wie Iron Maiden, die Toten Hosen oder Green Day nicht hart genug sind? Richtig, man hört Metal. Und 2005 sogar in bereits vielen verschiedenen Variationen. Ob Nu-Metal, Folk-Metal, Glam-Metal oder Metalcore: Wer 2005 zum Ring kam, hatte die Qual der Wahl zwischen sage und schreibe 34 Metalbands. Mit der Band The Prodigy als Late-Night-Act wagte man sich zumindest mit dem kleinen Zeh auch bereits in elektronische Gewässer.
Auch wenn der Kern der Headliner und Acts Rock spielte, zog der härtere Bruder Metal in diesem Jahr zahlenmäßig fast gleichauf. Dies geschah jedoch auf Kosten anderer Genres: Pop- und Hip-Hop-Musiker waren 2005 nur eine Randnotiz am Ring. Die Comedians, welche fünf Jahre zuvor für Abwechslung sorgten, waren restlos verschwunden.
Rock am Ring 2010 – Das Festival wird immer bunter
Zum Ende des neuen Jahrzehnts waren bei Rock am Ring immer mehr Genres vertreten. Basslastige Elektromusik von Pendulum, entspannte Reggae-Beats von Gentleman oder knallige Pop-Auftritte von Ellie Goulding oder Kate Nash sorgten für einen bunten Mix. Zum eher seichteren Headliner 30 Seconds to Mars hatte man mit Rammstein direkt das harte Gegengewicht im Line-Up bereit.
Auch wenn die Zahl der Metalbands sich gegenüber 2005 halbiert hatte, blieben mit musikalischen Schwergewichten wie Slayer, Five Finger Death Punch oder Bullet for my Valentine kaum Metalwünsche offen. Zu guter Letzt hielten Jan Delay und Jay-Z als zwei der wenigen Rap- und Hip-Hop-Künstler in diesem Jahr die Fahne für ihr Genre hoch. Doch der Wind für wortgewandte Rap-Beats sollte sich bald drehen.
Rock am Ring 2015 – Rap und Elektro nehmen Fahrt auf
Mit dem Erstarken des Raps und Hip-Hops in der allgemeinen Musikkultur fanden 2015 auch deutlich mehr Vertreter des Genres zu Rock am Ring und Rock im Park. Mit Acts wie Deichkind, KIZ, Trailerpark oder der Antilopengang war damals jeder 8. Auftritt Rap oder Hip-Hop, so viele wie noch nie zuvor. Auch einige DJs und Elektro-Musiker wie Fritz Kalkbrenner, Modestep oder The Prodigy waren mit dabei.
Während der Anteil der Metalmusik gleich blieb, ging die neue Rap- und Hip-Hop-Vielfalt komplett auf Kosten der Rockbands. 2015 hatte das Festival mit 44 Rock-Acts den geringsten Rockanteil seit der Erweiterung auf drei Bühnen.
Rock am Ring 2022 – Verkleinertes Line-Up nach Corona
Nachdem Rock am Ring und Rock im Park pandemiebedingt zwei Jahre Pause machen mussten, ging es 2022 mit einem etwas vorsichtigeren Line-Up weiter. Mit nur 69 Bands ging es an den Start nach der langen Corona-Durststrecke. Während die Popmusik in diesem Jahr nahezu komplett aus dem Line-Up verschwunden war, nahmen noch mehr Rap- und Hip-Hop-Künstler diese Lücke ein und zogen zahlenmäßig mit den Metal-Acts gleich. Neben den nach wie vor rockigen Headlinern Muse, Green Day und Volbeat gesellten sich Künstler wie Alligatoah, Marteria, Casper oder Kafvka auf die Bühnen.
Rock am Ring 2023 – Deutschrap als Late-Night-Act
An der Genreverteilung hat sich von 2022 auf 2023 eigentlich kaum etwas geändert. Neben den deutlich dominierenden Rock-Acts mit Headlinern wie Foo Fighetrs, Kings of Leon und den Toten Hosen, teilen sich Metal und Rap/HipHop Platz zwei und drei. Auffällig ist der hohe Anteil junger Pop-Punk-Künstler wie Machine Gun Kelly, Charlotte Sands oder Mod Sun. Generell fällt das Line-Up etwas poppiger aus als noch ein Jahr zuvor.
Das Fazit – Nimmt der Deutschrap bei Rock am Ring überhand?
Rein statistisch lässt sich sagen: Nein. Rock am Ring war über die Jahrzehnte verteilt selten ein reines Rockfestival und hat schon immer mit populären Genres geliebäugelt, sei es nun Jazz, Hip-Hop oder Stand-Up-Comedy. Das Versprechen des ersten Rock am Rings, kompromisslosen Dauerrock auf einer Bühne, gibt es immer noch. Wer keine Lust auf Deutschrap, Metal oder Elektro hat, kann sich auf der Hauptbühne drei Tage lang ausschließlich von feinstem Rock beschallen lassen.
Der Trick: Sowohl Rap und Hip-Hop als auch der Großteil der Metal-Bands lassen sich nur auf der alternativen Mandora-Stage, der Nebenbühne, finden. Wer Tagestickets in Erwägung zieht und beispielsweise gerne Deutschrap hört, kann bis auf Kontra K alle nennenswerten Rap-Acts am Freitag auf der Mandora-Stage erleben. Gleichzeitig zeigt die Mandora-Stage am Sonntag durchgehend harten „Auf-die-Fresse“-Metal.
Bisher hat Rock am Ring gezeigt, dass Rock und Metal die einzigen großen Konstanten im Line-Up sind. Ob Deutschrapper wie Apache 207 oder Kontra K am Ring nur momentane Fähnchen im populären Wind sind oder doch gekommen sind, um zu bleiben, können nur die nächsten Jahre beantworten.