Stationen einer Pilgerfahrt

Trier · Volksfreund-Redakteurin Katharina Hammermann macht sich in ihrer Kolumne "Trier rockt" eigene Gedanken zur Heilig-Rock-Wallfahrt. Heute: Stationen einer Pilgerfahrt.

13.45 Uhr, Ich stecke mir den kleinen Rock ans Revers und verlasse das Haus.
13.48 Uhr, Herz-Jesu-Kirche. Ich kaufe Proviant: Kekse in Rockform. Mein Begleiter findet, sie schmecken protestantisch.
14.05 Uhr, Fleischstraße. Nicht shoppen, pilgern!
14.15 Uhr. Die Dame im Andenkenladen an der Gangolfkirche erklärt einer Kundin, dass sie weder Schweißtücher noch Zauberbecher verkauft. Die gebe es hinterm Dom.
14.20 Uhr, Hauptmarkt: "Wer sich fürchtet, ist nicht vollkommen in der Liebe", deklamiert ein hagerer Pilger, der mit einem leicht zerfledderten Buch (wohl die Bibel) auf der zweiten Stufe des Marktkreuzes steht. Vier Leute lauschen andächtig. Niemand verkauft geröstete Otternasen. Stattdessen sitzen daneben drei Trierer und mampfen völlig ungerührt Pommes.
14.25 Uhr. Vorbei an fünf Busladungen Schützenbrüdern im grünen Wams, Männern mit Frack und Zylinder, philippinischen Nonnen und Milljuhnen anderen Pilgern nähern wir uns der gewaltigen brezelförmigen Schlange vor dem Dom. Kurz davor treffen wir Hitler am Arm eines Papstes, gefolgt von Journalisten. Kunst. "Das soll provozieren", erklärt der Kollege Lintz einem Passanten, der wie die meisten anderen so gar nicht provoziert aussieht. "Ein nackter Hitler, der Jehova, Jehova schreit, wäre aber auch das Mindeste gewesen", denke ich und reihe mich vor dem Palais Kesselstadt in die Schlange ein.
14.30 Uhr. In der Schlange scheinen die profanen Geräusche plötzlich zu verstummen. Nur noch das Läuten der Glocken und der Gesang der Pilger sind zu hören.
14.55 Uhr. Wir nähern uns langsam dem Eingang. Während Kinder den Domstein hinabrutschen, hat mein Begleiter noch immer das Gefühl, für ein Rockkonzert anzustehen.
15.01 Uhr. Eine Frau reicht uns in einer hölzernen Schale das Weihwasser und flüstert kurz darauf ihrer Kollegin zu, dass man das dringend mal austauschen müsste.
15.10 Uhr. Die beiden Bettler am Eingang werden mit Kleingeld überschüttet.
15.25 Uhr. Die Orgel spielt. Ein Priester verliest das Pilgergebet. Ich habe Gänsehaut. Und dann kommt der Rock in Sicht.
15.30 Uhr. Privater Moment mit einem Heiligen Rock.
15.31 Uhr. Eine Dame drückt mir ein Andenkenkärtchen in die Hand. Ich verlasse den Dom und beschließe, Zauberbecher und Schweißtuch irgendwann anders zu kaufen: Im heiligen Kramladen ist die Hölle los. Glücklich gehe ich nach Hause. Denn plötzlich weiß ich: Ich will grillen.

In ihrer Kolumne "Trier rockt" macht sich unsere Redakteurin Gedanken über die Heilig-Rock-Wallfahrt. ´ Weitere Kolumnen: www.volksfreund.de/kolumnen

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