Trierer Parteienforscher Jun im Interview: "Die FDP muss von unten ganz neu anfangen"

Die große Koalition ist nach dem Wahlergebnis vom Sonntag sehr wahrscheinlich. Davon ist der Trierer Parteienforscher Uwe Jun überzeugt.

 Uwe Jun. Foto: Archiv

Uwe Jun. Foto: Archiv

Seiner Meinung nach könnten die Sozialdemokraten aus einem schwarz-roten Regierungsbündnis sogar gestärkt hervorgehen, wenn es ihr gelingt, ihr Kernthema Gerechtigkeit durchzusetzen und sich gegen die Union klar zu positionieren. Schwarz-Grün hingegen hält Jun für ausgeschlossen. Das Ausscheiden der FDP ist für den Politikprofessor der Trierer Uni das Überraschendste an dem Wahlausgang. Auch das relativ gute Abschneiden der Partei Alternative für Deutschland (AfD) ist für den Experten durchaus eine Überraschung. TV-Redakteur Bernd Wientjes sprach am Sonntagabend mit Uwe Jun.

Herr Jun, was ist für Sie die größte Überraschung bei dem Wahlergebnis?
Jun: Das Einschneidendste ist sicherlich, dass die FDP, die am längsten Regierungspartei in Deutschland und seit 1949 im Bundestag war, erstmals ausscheiden wird. Überraschend für mich ist auch das gute Abschneiden der AfD.

Bleiben wir bei der FDP: Sie selbst haben noch vor kurzem ein Scheitern der Liberalen für unmöglich gehalten. Woran lag es, dass die FDP gescheitert ist?
Jun: Die FDP hat zu sehr auf Marktliberalismus gesetzt. Sie hat die Erwartungen, die in sie gesteckt worden sind, nicht erfüllt. Im bürgerlich-liberalen Lager dürfte sich der ein oder andere ärgern, dass er nicht die FDP gewählt hat. Dann wären die Liberalen ins Parlament hineingekommen, und es hätte klare Mehrheitsverhältnisse gegeben.

Was bedeutet das für das Parteiensystem in Deutschland?
Jun: Die Union wäre die einzige Partei im bürgerlichen Lager. Das hat es so noch nicht gegeben in Deutschland. Die FDP muss überlegen, ob sie weiter den Liberalismus weiterhin so eng fasst, also sich stark auf die Ökonomie konzentriert.

Das heißt, die FDP muss sich neu definieren?
Jun: Die Bundestagsfraktion hat bei der FDP immer eine zentrale Rolle gespielt. Eine außerparlamentarische Opposition ist nie einfach. Nun müssen die Liberalen von unten, von den Kommunen und den Ländern neu anfangen. Und es muss personelle Konsequenzen geben.

Könnte die AfD die Lücke, die die FDP im bürgerlich-liberalen Lager hinterlässt, schließen?
Jun: Die AfD ist eher eine konservative Partei. Sie ist meilenweit vom Liberalismus entfernt, auch wenn sie im Großen und Ganzen eine liberale Wirtschaftspolitik propagiert.

Welche Regierungskoalition halten Sie für wahrscheinlich? Schwarz-Grün?
Jun: Das halte ich eher für unwahrscheinlich. Da müsste Frau Merkel den Grünen schon sehr entgegenkommen, damit die grüne Basis das mitträgt. Union und Grüne haben sich in den vergangenen Jahren auseinanderentwickelt. Außerdem müssen die Grünen erst mal ihr schlechtes Ergebnis aufarbeiten. Dann muss man auch erst mal abwarten, mit welchem Personal die Grünen in die Zukunft gehen wollen. Außerdem kommt hinzu, dass sie in den Bundesländern mit der SPD regieren. Das mit einer Koalition auf Bundesebene mit der Union unter einen Hut zu bringen, ist sehr schwierig.

Also bleibt nur die große Koalition?
Jun: SPD und Union haben viele Gemeinsamkeiten. Aber die große Koalition ist natürlich bei vielen Sozialdemokraten eher unbeliebt. Sie denken natürlich noch an ihr schlechtes Abschneiden nach der großen Koalition, als es ihnen vor vier Jahren ähnlich gegangen ist, wie der FDP gestern. Daher wird die SPD vielleicht noch etwas zögern, einer großen Koalition zuzustimmen.

Wäre es eher ein Risiko oder eine Chance für die SPD, in eine große Koalition zu gehen?
Jun: Wenn die SPD ihr Kernthema Gerechtigkeit, wozu auch der Mindestlohn und Fragen der Leiharbeit gehören, konzentriert in einer großen Koalition durchsetzen kann, bieten sich der SPD durchaus Chancen. Es muss ihr deutlich gelingen, sich von der Union abzugrenzen und ihre Themen klar zu positionieren.Extra

Uwe Jun, 1963 in Braunschweig geboren, lehrt seit 2005 als Professor für Vergleichende Regierungslehre, westliche Regierungssysteme und Bundesrepublik Deutschland an der Universität Trier. Seine Schwerpunkte sind Parteienforschung und politische Kommunikation. sey

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