Volksfreund-Interview: "Zersplitterung ist für das Parlament kein Problem"

Trier · Das gute Abschneiden der Rechtspopulisten in Frankreich, Dänemark oder Großbritannien ist auffallend, bedeutet aber nicht, dass das Europaparlament nicht mehr mehrheitsfähig ist. Das sagt der Trierer Politikwissenschaftler Joachim Schild. Mit ihm sprach unser Redakteur Bernd Wientjes.

Herr Schild, was war für Sie das Überraschendste am Ausgang der Europawahl?
Joachim Schild: Das Auffallendste ist sicherlich die Stärkung von populistischen, europaskeptischen Parteien von links und von rechts.

Zeigt das, wie gespalten derzeit Europa ist?
Schild: Es geht ein Riss durch einige EU-Länder, der zeigt, wer sich als Gewinner und wer sich als Verlierer der europäischen Integration sieht.

Woran liegt es, dass die Euroskeptiker mit den Rechtspopulisten einen solchen Auftrieb haben?
Schild: Die Finanz- und die Eurokrise haben in vielen Mitgliedsstaaten soziale Verwerfungen mit sich gebracht, massive Zukunftsängste ausgelöst und zu einer extrem hohen Jugendarbeitslosigkeit geführt. So erklärt sich auch, dass die europaskeptischen Parteien einen überdurchschnittlich hohen Zulauf von Jüngeren, weniger Gebildeten und Arbeitern haben. Von denen also, die sich als Verlierer der Währungsunion fühlen.

Haben Sie mit einem solchen deutlichen Sieg der Rechten in Frankreich gerechnet?
Schild: Nein. Der Front National war vor der Wahl zwar als stärkste Kraft vorausgesagt worden, aber der Abstand mit der die Rechten vor den französischen Konservativen, der UMP, gelandet sind, ist schon überraschend. Das ist nach 2002, als der damalige Front-National-Vorsitzende und Vater der heutigen - Partei chefin, Jean-Marie Le Pen, es in den zweiten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen schaffte, das zweite große Erdbeben in Frankreich, dass durch diese Partei verursacht wird.

Wie wird sich die Arbeit des Europaparlaments durch die Zunahme der Euroskeptiker verändern?
Schild: Die Arbeit wird tendenziell schwieriger. Allerdings sollte man das nicht überbewerten. Denn die euroskeptischen Kräfte werden nicht eine große und durch Zusammenhalt geprägte Fraktion bilden. So hat die AfD ja bereits vor der Wahl gesagt, dass sie mit der Front National nichts zu tun haben wollen. Daher werden sich die Euroskeptiker auf verschiedene Fraktionen verteilen.

Wie unterscheidet sich die AfD von den anderen Rechtspopulisten?
Schild: Ihre Wähler sind nicht die typischen rechten Wähler. Die AfD gewinnt Stimmen quer durch das soziale Spektrum und über alle Bildungsgruppen hinweg.

Die AfD auf dem Weg zur Volkspartei?
Schild: Ich bin skeptisch, dass der AFD nun der Durchbruch gelungen ist. Sie hat gute Chancen, bei den nächsten Landtagswahlen zu punkten.

Allerdings kann die starke Konzentration der Partei und ihrer Wähler auf Europathemen und auf Europakrise möglicherweise auch den Abstieg der AfD mit sich bringen, wenn die Themen nicht mehr so relevant sind.

Mit dem erstmaligen Aufstellen von Spitzenkandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten wurde den Wählern ja ein Stück weit vorgegaukelt, dass sie bei der Besetzung des Postens mitbestimmen können. Wie beurteilen Sie das?
Schild: Die Wirkung dieses Versuchs wurde von den Befürwortern dieser Spitzenkandidaturen völlig überschätzt. Dahinter stand die Idee, dass die Spitzenkandidaten klar erkennbare Alternativprogramme transportieren. Bei den Auseinandersetzungen von Martin Schulz und Jean-Claude Juncker wurde deutlich, dass die in 95 Prozent übereinstimmen, die Wähler konnten bei beiden keine klaren Profile erkennen.

Wird das Europaparlament gestärkt mit mehr Selbstbewusstsein aus diesen Wahlen hervorgehen?
Schild: Die höhere Wahlbeteiligung in einigen Ländern stärkt zumindest die Position des Parlaments. Viel wird auch davon abhängen, wie die Besetzung des Kommissionspräsidenten ausgeht. Wenn das Parlament seinen Kandidaten durchsetzen kann, wird das sein Selbstbewusstsein stärken.

Trotzdem dürfte die Mehrheitsbildung im Europaparlament aufgrund der zunehmenden Zersplitterung der Parteien doch schwieriger werden.
Schild: Das Parlament ist immer schon mit großen Mehrheiten zu Beschlüssen gekommen. In wichtigen Punkten finden zumeist die großen Volksparteien zu einer gemeinsamen Linie. Daher wird weiterhin eine Mehrheitsbildung möglich sein. wieExtra

Joachim Schild, 51, ist seit 2003 Professor für Vergleichende Regierungslehre an der Universität Trier. Der geborene Saarbrücker hat Politikwissenschaft, Volkswirtschaftslehre, Soziologie und Romanistik an den Universitäten Bamberg, Toulouse Le Miraile und der Freien Universität Berlin studiert. wie

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