Without you I'm nothing. Und mit dir noch weniger

Der Freitag, Teil 2: Warum mich Placebo nicht wirklich überzeugen wollten. +++ Basement Jaxx heben die Stimmung +++ Polarkreis 18 präsentieren sich wie gewohnt.

 Rock am Ring: Foto-Shooting mit "Placebo"

Rock am Ring: Foto-Shooting mit "Placebo"

Foto: Sven Eisenkrämer

Eigentlich ist es eine Schande: Da zermartern sich Philosophen seit Jahrtausenden Hirn und Leber, nur um herauszufinden, warum wir hier sind. Was Moral war und ist. Wie sie sein sollte. Was uns vom Tier unterscheidet, was aus der Welt wird, was aus uns wird. Trotzdem können wohl nur die wenigsten Menschen einen zeitgenössischen, relevanten Philosophen nennen. Einer, der ein paar Antworten im Regal hat auf die Fragen, die ich noch suche. Was das mit Musik zu tun hat, konkret: mit „Rock am Ring“? Für mich viel: Eine Band, die mich berührt, schafft das meist durch die Kombination aus Musik und Text. Einst war das morbide, wie in den frühen 90ern, als ich Sätze liebte wie „In the death of mere humans, life shall start.“ Das klingt nach Slipknot („People = Shit“), ist aber ein Zitat von der britischen Band „Van der Graaf Generator“. Ich hechelte damals gut 15 Jahre der Zeit hinterher (Da bin ich aber entschuldigt: Ich bin Trierer). Später in den 90ern gab es - neben fast allem von Radioheads „OK Computer“ – ein weiteres Stück, das mich emotional bis ins Mark traf: „Without you I’m nothing“ von Placebo. Die offenen Gitarren-Akkorde, die unterschwellige Bedrohung, das Flehende, dazu noch meine damaligen Verbindung in den eigenen Gefühls-Zoo: Das war groß. Dabei könnte eine einfache Philosophie wie „Ohne dich bin ich nichts“ theoretisch auch von Andrea Berg stammen. Aber die hätte mein Papierlampen-Herz wohl nicht angekokelt. Nachdem ich Placebo in den letzten Jahren bestimmt acht oder neun Mal live gesehen hatte und ich mich fast schon als Fan bezeichnen würde, war ich am Freitagabend entsprechend gespannt vor dem Auftritt auf der Hauptbühne. Um es vorweg zu nehmen: Ich war über weite Strecken enttäuscht. Nun: Der Sound in Ordnung, musikalisch lief auch (fast) alles glatt. Placebos Neuer, Steve Forrest, bringt mit seinem Punk-sozialisierten Schlagzeug-Stil frischen Schwung rein. Aber das war es auch aus meiner Sicht mit dem Positiven: Dass das Konzert gleichzeitig live auf MTV übertragen wurde, kam den Zuschauern nicht unbedingt entgegen. So war die Setlist gerade zu Beginn eine mittlere Katastrophe: Sechs der ersten sieben Stücke waren vom neuen Album (wenn ich mich nicht verzählt habe), das erst am gleichen Tag veröffentlicht wurde. Klar, dass kaum einer die Stücke kannte – und zumindest der erste Eindruck war abgesehen von der Single „For what it’s worth“ eher mau. Dazwischen kam zudem als „altes“ Stück ausgerechnet „Black-Eyed“. Damit konnte ich nie etwas anfangen. Wenn der Start also schon überhaupt keine Gefühle wecken konnte, wird es schwer. Pragmatisch mag man sagen: Das passt schon noch, dran gewöhnen, es geht aufwärts. Aber unter diesen Voraussetzungen und mit Plus/Minus-Liste sucht man sich ja auch keine Freundin. Ich zumindest nicht. Okay: Placebo wurde danach etwas besser. „Every you every me“, „Bitter End“ oder „Meds“ – das passt alles schon. Zwei Tage vorher hatten sie einen Vorab-Gig im kleinen Kölner Club „Gloria“ gespielt. Von „Song to say Goodbye“ blieb mir auch eine Textzeile in den Nervenbahnen hängen: „I don’t like you any more.“ Gut, sagen wir es gemäßigter, mit einem Tocotronic-Titel: „Ich mag dich einfach nicht mehr so.“ Aber das sind auch keine Sätze, mit der man die alte Liebe zurück erobert. Danach ging es weiter – in Kürze: Basement Jaxx im Club-Zelt: Hip Hop, Soul, House, Rock, Theater – alles innerhalb kürzester Zeit. Die Kostüme wechseln wie die Musikrichtungen – auf jeden Fall sehr unterhaltsam. Der Kollege ruft gerade rüber: „fetter Auftritt“. Ich hoffe ja mal schwer, dass er damit nicht auf die Proportionen der Sängerinnen anspielt! Das geht natürlich gar nicht. Oder, um noch mal einen Titel zu bemühen, diesmal von Morrissey: „You’re the one for me, Fatty“. Das will doch keiner hören!Danach gab es noch Polarkreis 18: Waren ganz okay, auch wenn nicht jeder warm wurde mit der Band. Musikalisch ist das sehr ordentlich. Das Abgehobene, die Ganz-in-Weiß-Marotte und dieser seltsame Widerspruch, auf schwule Ästhetik zu setzen, um dann aber immer wieder zu betonen, wie hete, hete, hetero man doch sei. Was soll’s. Andreas Feichtner

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