Zeitenwende in Baden-Württemberg

Nach einem halben Jahrhundert an der Macht stürzt die CDU in Baden-Württemberg in ungeahnte Tiefen. Der FDP droht in ihrem Stammland die Abwahl aus dem Landtag. Grüne und SPD können aller Voraussicht zum ersten Mal in Stuttgart regieren.

Stuttgart. Für Stefan Mappus ist die Landtagswahl zur politischen Kernschmelze geworden. Der seit gut einem Jahr regierende CDU-Ministerpräsident muss eine vernichtende Niederlage hinnehmen. Nach knapp 58 Jahren CDU-Dominanz zwischen Main und Bodensee haben die Wähler die Partei in die Opposition geschickt und für eine politische Zeitenwende gesorgt. Grüne und SPD können nach den ersten Hochrechnungen gemeinsam die Regierung übernehmen. Nach dem massiven Konflikt um das Milliarden-Bahnprojekt Stuttgart 21 und nach der Atomkatastrophe in Japan sind der schwarz-gelben Koalition ganz offenkundig die Wähler in Scharen davongelaufen.

Das politische Erdbeben im Südwesten beschert nicht nur der CDU den Machtverlust, sondern bringt aller Voraussicht nach auch den ersten grünen Ministerpräsidenten in Deutschland hervor. Der 62-jährige Winfried Kretschmann führt seine Partei in ihrem Stammland nach 31 Jahren von den Oppositionsbänken in die Regierung.

Im Geburtsland der Anti-Atom-Bewegung mit den letztlich erfolgreichen Protesten gegen das geplante Kernkraftwerk im badischen Wyhl Mitte der 70er Jahre kommt nun erstmals ein Grüner an die Schalthebel der Macht.

In der wirtschaftsstärksten Region Europas werden durch das Wahlergebnis die politischen Verhältnisse auf den Kopf gestellt. Mit dem klaren Votum rütteln die Wähler an über Jahrzehnte fest gefügten Strukturen.

Zugleich sieht sich die künftige grün-rote Landesregierung großen Herausforderungen und auch einigen Klippen gegenüber. Beim zuletzt wichtigsten Thema Atomkraft ziehen beide Parteien an einem Strang und zielen auf eine möglichst rasche Energiewende - weg von der Kernkraft und hin zu einem massiven Ausbau der erneuerbaren Energien. Aber schon beim Umbau des Stuttgarter Kopfbahnhofs in eine unterirdische Durchgangsstation und dem Anschluss an die neue Schnellbahntrasse nach Ulm endet die Gemeinsamkeit.

Die Hauptursache für den politischen Gau von Ministerpräsident Mappus dürfte seine Energiepolitik gewesen sein. Denn er hatte im vergangenen Jahr laut und massiv auf die Verlängerung der Laufzeiten deutscher Atomkraftwerke gepocht. Nach dem nuklearen Desaster von Fukushima folgte Mappus dann notgedrungen der von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) eingeleiteten Kurskorrektur und verordnete dem zweitältesten deutschen Meiler Neckarwestheim I die Stilllegung und nahm Philippsburg I vorerst vom Netz. Aber bei den Wählern verfing dieser angebliche Sinneswandel nicht.

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