Herning Was bleibt vom Boom?

Herning · Die Handball-WM in Deutschland und Dänemark war für den DHB ein großer Erfolg. Der Schub soll nun genutzt werden, um die Sportart dauerhaft populärer zu machen. An Ideen und Projekten mangelt es nicht.

 Kinder und Jugendliche für den Handball gewinnen – das ist ein großes Ziel des Deutschen Handball-Bunds. Hier gibt’s von Patrick Wiencek (vorne) & Co. Autogramme.

Kinder und Jugendliche für den Handball gewinnen – das ist ein großes Ziel des Deutschen Handball-Bunds. Hier gibt’s von Patrick Wiencek (vorne) & Co. Autogramme.

Foto: dpa/Soeren Stache

(dpa) Nach dem einen oder anderen Frustbier und einem gemeinsamen Abendessen verabschiedeten sich die enttäuschten deutschen Handballer ohne die erhoffte WM-Medaille in einen Kurz-Urlaub. Für Andreas Wolff & Co. geht es in der Bundesliga am 7. Februar weiter, für die Verbandsführung dagegen begann schon am Tag nach dem Ende der in allen Bereichen gelungenen Heim-Weltmeisterschaft wieder der Alltag – mit viel Arbeit.

In den kommenden Monaten soll der Boom, anders als beim Wintermärchen vor zwölf Jahren, nachhaltig genutzt werden. „Die WM gibt natürlich einen Schub“, sagte DHB-Präsident Andreas Michelmann. „Da haben wir inzwischen die nötigen Formate, die es 2007 noch nicht gab. Es muss schneller möglich sein, aus diesem WM-Effekt der hervorragenden sportlichen Leistung, der großartigen Stimmung in den Hallen und der großen Medienpräsenz, Wirkung zu erzielen.“

Der Handball wittert seine Chance, sich auf Jahre hinaus als Mannschaftssportart Nummer zwei hinter dem unangefochtenen Fußball zu etablieren und näher an des Deutschen liebstes Kind heranzurücken. „Entscheidend ist für uns, dass sich die Kurve langfristig nach oben bewegt“, sagte Vorstandschef Mark Schober. „Wir können dank der langfristigen Fernsehverträge jetzt jedes Jahr einen Peak erreichen und haben 2024 eine Heim-EM. Es deutet alles darauf hin, dass wir eine kontinuierliche Steigerung erreichen können.“

Die Voraussetzungen dafür sind günstig. Der Verband hat sich in den vergangenen Jahren reformiert und professionelle Strukturen geschaffen. Mit konzertierten Aktionen wird seit geraumer Zeit an Schulen und in Kindergärten um Nachwuchs geworben. Auch Themen wie Ehrenamt, Trainerausbildung und Gewinnung von Schiedsrichtern stehen nicht erst seit den begeisternden WM-Tagen auf der Agenda.

„Als Dachverband können wir Leuchtturmprojekte machen und beraten, aber wir brauchen natürlich unsere Landesverbände, die Vereine und die Spieler bis zur untersten Ebene, die die Werte des Handballs weitergeben“, sagte Schober und zählte auf: „Bodenständigkeit, Nahbarkeit, Durchsetzungsfähigkeit, Teamfähigkeit.“

Die wurden einem Millionenpublikum vor den Fernsehgeräten vermittelt. „Handball ist 60 Minuten Schweiß, Tränen und Action – das haben wir Deutschland präsentiert“, lobte DHB-Vizepräsident Bob Hanning. „Es ist wichtig, dass wir das rübergebracht haben.“

Dennoch äußerte sich ausgerechnet Handball-Ikone Heiner Brand skeptisch. „Volksnähe, Bescheidenheit, Bodenständigkeit sind Attribute, die den Handball schon immer ausgezeichnet haben. Das hat man schon immer gelobt, hat sich bisher nach einem großen Erfolg aber nicht ausgewirkt“, sagte der Weltmeister-Trainer von 2007 der Deutschen Presse-Agentur.

Schon damals sei nach dem WM-Triumph versucht worden, in die Schulen zu gehen. „Aber über die Inhalte in den Sportstunden wird in Ministerien entschieden“, sagte Brand. Hinzu kommt das Problem mit der Infrastruktur, denn die Hallenkapazitäten in Deutschland sind beschränkt und bei weitem nicht ausreichend.

Der DHB weiß das, weshalb man auch auf politischer Ebene aktiv geworden ist. „Auch an diesem Thema arbeiten wir intensiv, da hat der Präsident in Berlin eingewirkt“, berichtete Schober. Dabei ist ihm bewusst: „Wenn ein richtig großer Boom kommt, wird das nicht alles aufzufangen sein.“

Trotzdem gibt man sich beim DHB optimistisch. „Handball ist jetzt ein gesellschaftliches Thema“, stellte Verbandsvize Hanning fest. Bundestrainer Christian Prokop und seine Schützlinge müssen nun dafür sorgen, dass dies auch in Zukunft so bleibt. „Es sind viele Gesichter entstanden aus dieser WM heraus, eine einheitliche Mannschaft, die vieles super vorgelebt hat. Jetzt müssen wir diese Sache mit Nachhaltigkeit angehen und unsere Kids und die Schulen häufiger mit Handball frequentieren“, formulierte Prokop den Anspruch. Entscheidend wird aber sein, ob sich die DHB-Auswahl auf Dauer in der Weltspitze etablieren kann. Das war weder nach dem WM-Sieg 2007 noch nach dem sensationellen EM-Triumph 2016 gelungen. Für Brand steht fest: „Die beste Möglichkeit, den Handball in Deutschland populärer zu machen, sind Erfolge der Nationalmannschaft.“ Dazu gibt es 2020 gleich zwei Chancen – erst bei der Europameisterschaft und dann bei den Olympischen Spielen. Spätestens in Tokio will die DHB-Auswahl titelreif sein. Mehr zum Thema lesen Sie auf Seite 15

(dpa)
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