Wenn Parteien unwichtig werden

Fisch/Kanzem · In kleinen Orten zählen Personen und nicht Parteien. Sobald die Menschen sich persönlich kennen, treten Gruppierungen in den Hintergrund. Die Saargemeinde Kanzem will deshalb freiwillig eine Wahlliste ohne Parteien aufstellen. Grund genug, einen Blick auf das Wahlsystem zu werfen.

 Bundesweit behalten die etablierten Parteien ihre Bedeutung. Bei der Kommunalwahl treten sie in den Hintergrund und die einzelnen Akteure in den Vordergrund. Foto: dpa

Bundesweit behalten die etablierten Parteien ihre Bedeutung. Bei der Kommunalwahl treten sie in den Hintergrund und die einzelnen Akteure in den Vordergrund. Foto: dpa

Fisch/Kanzem. "Kanzem geht neue Wege", steht über einem Infoblatt, das Ortsbürgermeister Dirk Burdjak an alle Haushalte im 650-Einwohner-Ort verteilt hat. Er richte sich an alle Kanzemer Bürger, die den Ort weiterentwickeln wollen. Denn die Mitglieder des Gemeinderats, der zurzeit aus drei Fraktionen besteht, wollen das Wahlsystem bei der Kommunalwahl am 25. Mai erstmals umstellen. Statt mehrerer Parteilisten wollen sie bis zur Einreichungsfrist, die am 7. April endet, eine gemeinsame Kanzemer Liste aufstellen. Bleibt diese der einzige Wahlvorschlag, gilt das Mehrheitswahlrecht. Wähler können dann auf Gemeindeebene keine Parteien, sondern nur Menschen wählen (siehe Extra).
Kommunalwahl 2014


"Es geht nicht darum, Parteien abzuschaffen", sagt Burdjak. Die Diskussion auf Gemeindeebene verlaufe ohnehin meist unabhängig von Parteikalkül. Deshalb gebe es keinen Bedarf für Parteilisten, argumentiert der Ortschef. Was in der Verbandsgemeinde Konz ein Novum ist, ist anderswo schon lange Normalität. Im Kreis Trier-Saarburg wurden 2009 bei der Kommunalwahl 31 der 104 Ortsgemeinde- und Stadträte so gewählt - zum Beispiel in Fisch (VG Saarburg).

Traditionelle Mehrheitswahl: Die rund 370 Fischer wählen seit 1969 per Mehrheitswahl. Dabei hält der Fischer Ortsbürgermeister und ehemalige CDU-Landtagsabgeordnete Dieter Schmitt Parteien auf höheren Ebenen für unverzichtbar. "Im Kleinen, wo man die Menschen kennt, spielt die Partei aber keine Rolle", sagt er. Im Gegenteil: Oft werde über Parteien zu sehr polarisiert. Das sei auf Gemeindeebene nicht sinnvoll. Ein Nachteil der personalisierten Wahl sei, dass sie unverbindlicher sei als Parteilisten, weil der Druck aus der eigenen Fraktion fehle.

Unfreiwillige Wechsel: Viele Orte stellen ihr Wahlsystem allerdings unfreiwillig um. Oft gelingt es kaum, genug Menschen zu finden, die sich in den Gremien engagieren wollen. Schließlich verlangt die rheinland-pfälzische Gemeindeordnung schon bei Gemeinden mit weniger als 300 Bewohnern eine Mindestzahl von sechs Ratsmitgliedern. Treten mehrere Parteilisten oder Gruppierungen an, muss jede von ihnen so viele Mitglieder vorweisen, wie es Sitze im Rat gibt. Kleinere Parteien haben deshalb auf der Ebene von Ortsbezirken oder -gemeinden schlechte Chancen und treten gar nicht an, weil sie zu wenige Mitglieder haben.

Wählen ohne Liste: Manchmal wird in kleinen Dörfern gar keine Liste aufgestellt. In dem Ort Thörnich (170 Einwohner, VG Schweich) wird das laut Ortsbürgermeister Hans-Peter Brixius seit den 1980er Jahren so gehandhabt. Ohne Liste haben die Wähler das Recht, so viele Personen auf dem Stimmzettel selbst einzutragen, wie in dem Gremium sitzen. Im sechsköpfigen Thörnicher Rat sitzen immer die Leute, die bei der Wahl am häufigsten eingetragen wurden. Da gebe es meist keine großen Veränderungen oder Parteibindungen, meint Brixius.

Zu kleine Liste: Dass nicht nur kleine Orte Probleme mit der Aufstellung mehrerer Listen haben, beweist der Fall der Ortsgemeinde Kell am See (1950 Einwohner, VG Kell am See). Nachdem die traditionell starke SPD für die 2009er Kommunalwahl keine eigene Liste mehr aufstellen konnte, wurde auch dort die Mehrheitswahl eingeführt. Auf einer CDU-Liste standen 15 Parteimitglieder und CDU-nahe Politiker, darunter Ortschef Markus Lehnen.
Es waren aber 16 Sitze zu vergeben. Und Lehnen darf nicht zugleich Ratsmitglied und Ortschef sein. Die Wähler durften somit einen Namen ergänzen. Ex-SPDler Horst Zimmert war der meistgenannte und schaffte es als Parteiloser in den Rat. Um der CDU-Überlegenheit entgegenzusteuern, will er dieses Jahr eine eigene Freie Liste aufstellen.Meinung

Engagement wichtig - Parteien egal
In kleinen Gemeinden ist das Parteibuch vollkommen egal. Was zählt, ist der persönliche Kontakt zu den Bürgern in der Nachbarschaft, in Vereinen oder an der Theke. Dort werden Interessen formuliert, die ein Gemeinderatsmitglied in das Gremium einbringen kann. Doch das System der Mehrheitswahl ohne Parteilisten ist nicht nur deshalb auf Gemeindeebene sinnvoll. Denn durch dieses System wird der Beitritt oder auch nur die Nähe zu politischen Parteien unnötig. Für Politik-Neulinge sinkt so die Hemmschwelle, sich an der Politik im Dorf zu beteiligen. Sie müssen sich nicht vor Besserwissern in der eigenen Fraktion fürchten und können ihre eigenen Interessen in das Gremium einbringen. Dann steht das Engagement an sich über der Partei oder der Zugehörigkeit zu einer Fraktion. Sollten sich Parteilose doch für höhere Politikebenen berufen sehen, können sie sich immer für eine Fraktion entscheiden. c.kremer@volksfreund.deExtra

Besetzung von Räten: Je mehr Einwohner eine Gemeinde hat, desto mehr Mitglieder muss der Ortsgemeinde- oder Stadtrat haben, besagt die rheinland-pfälzische Gemeindeordnung. Hat eine Gemeinde weniger als 300 Einwohner sind es sechs. Der Wert geht schrittweise höher bis zu Städten mit mehr als 150 000 Einwohnern, für die ein 60-köpfiger Stadtrat vorgeschrieben ist. Stellt eine Partei oder Gruppierung eine eigene Liste auf, muss diese so viele Bewerber aufführen, wie es Sitze in den Gremien gibt. Wahlrecht: Das deutsche Wahlrecht kombiniert in der Regel das Verhältnis- und das Mehrheitswahlrecht. Unterbreiten mehrere Gruppierungen oder Parteien über ihre Liste einen Wahlvorschlag sieht das rheinland-pfälzische Kommunalwahlgesetz es ebenfalls so vor. Der Wähler kann demnach entweder der Parteiliste eine allgemeine Stimme geben oder so viele Stimmen auf einzelne Personen aus allen Listen verteilen, wie es Sitze im Gemeinde- oder Stadtrat gibt. Es ist auch möglich, eine Parteistimme abzugeben und einzelne Personen anderer Parteien zu wählen. Das Mehrheitswahlrecht greift, wenn nur eine oder gar keine Liste zur Wahl vorliegt. Liegt eine Liste vor, können die Wähler ihr Kreuz entweder über der kompletten Liste machen oder so viele Stimmen auf die einzelnen Politiker verteilen, wie es Sitze im Rat gibt. Liegt keine Liste vor, dürfen die Bürger - wie in Thörnich (siehe Hauptext) - so viele Namen eintragen, wie es Sitze im entsprechenden Gremium gibt. cmkExtra

Die Ortsgemeinde Kanzem lädt alle Bürger für Mittwoch, 5. Februar, 19 Uhr, zur Aufstellung der Kanzemer Liste in die Alte Schule ein. "Jeder der Lust hat, mit auf dieser Liste zu stehen oder an der Erstellung teilzuhaben, sollte an diesem Abend unbedingt kommen", sagt Ortschef Dirk Burdjak. Für die Liste ist jeder Bürger aus Kanzem geeignet, der 18 Jahre alt ist. cmk

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