Winkelglück und Weltensehnsucht

L eben und Werk der Maler Heinrich Bürkel (18021869) und Carl Spitzweg (18081885) weisen so viele Parallelen auf, dass ihre freundschaftliche Verbundenheit sofort einleuchtet. Beide gaben in noch jungen Jahren ihre "bürgerlichen" Berufe auf, die sie auf Wunsch der Eltern zunächst erlernt hatten.

Der aus Pirmasens stammende Gerichtsschreiber Bürkel ließ sich ab dem Jahre 1822 als Wahlmünchner auf das Wagnis ein, Maler zu werden. Elf Jahre später tauschte der Urmünchner Spitzweg seinen Apotheker- gegen den Malerkittel. Ein Studium an der Münchner Akademie der bildenden Künste lehnten beide als unproduktiven Umweg ab. Mit großem Talent ausgestattet, bildeten sie sich als Autodidakten durch unentwegtes Zeichnen, durch das Kopieren in Museen, vor allem aber durch den Gedanken- und Erfahrungsaustausch mit Freunden und Kollegen. Im Kreis gleichgesinnter Münchner Maler, zu dem unter anderen auch Eduard Schleich d. Ä., Eduard Grützner und Friedrich Voltz gehörten, fanden Bürkel und Spitzweg als Freunde zueinander und regten sich gegenseitig an bis hin zur Übernahme ganz konkreter Staffagefiguren oder zum "Hineinmalen" in die Bilder des anderen. Unter den Arbeiten seiner Freunde, die Spitzweg in der "Prunkkammer" seiner Wohnung hütete, befanden sich deshalb auch Ölgemälde Bürkels. Beide Maler zeichnete eine tiefe Naturverbundenheit aus. Sie wussten sich einig in ihrer Vorliebe für stille Winkel und einsame Höhen, für Außenseiter und Eigenbrötler. Gleichzeitig waren sie begeisterte "Frühtouristen", ständig auf Achse und auf der Suche nach neuen Motiven. Ausgedehnte Wanderungen und Reisen in Europa, längere Studienaufenthalte in Italien (Bürkel) weiteten den Horizont. Bürkels stimmungsvoll realistische Bilder, in denen er Bauernhöfe, Schmieden und Wirtshäuser, aber gerne auch fahrendes Volk, Bettler, Banditen und Mönche in ihrer heimatlichen Landschaft darstellte, gewannen schon bald Liebhaber und Käufer. Er vermarktete seine Gemälde geschickt über Kunstvereine in ganz Deutschland, später auch in den USA und war schon zu Lebzeiten wohlhabend und berühmt, wozu eine Einheirat in die Münchner Großbourgeoisie beigetragen haben mag. Der durch eine Erbschaft materiell unabhängige Junggeselle Spitzweg dagegen bemühte sich nicht sonderlich um Verkäufe. "Nie hat man ihm die Bilder nass aus dem Atelier geholt wie anderen Malern seiner Zeit, Lenbach oder auch Anton von Werner etwa". Auch Bürkel oder Grützner waren wesentlich gefragter. Spitzweg wurde überwiegend als etwas spleeniger Maler-Dilettant missverstanden. Erst im Laufe des 20. Jahrhunderts und mit Hilfe der Vervielfältigungsmöglichkeiten durch Kunstdrucke, Mappenwerke und Bücher wurden seine schrulligen Typen, etwa der "Arme Poet" oder der "Ewige Hochzeiter", zum Volksgut der Deutschen. Die Aufmerksamkeit, die beiden Malern in den letzten Jahren unter anderem durch die Erstellung neuer Werkverzeichnisse zuteil geworden ist, unterstreicht endlich auch die hohe Qualität ihrer Malerei, die vom akribisch genauen Realismus zu frühimpressionistischer Lockerheit gelangte. Zum 200. Geburtstag im Jahre 2002 ehrte die Stadt Pirmasens ihren Musensohn Heinrich Bürkel mit einer vielbeachteten Ausstellung samt Katalog. Aus der umfangreichen stadteigenen Sammlung Pirmasens wird nun ein eindrucksvoller Querschnitt durch das Schaffen Bürkels ab Sonntag, 9. Februar, im Städtischen Museum Simeonstift in Trier gezeigt. Ihm sind Arbeiten Spitzwegs aus den eigenen Beständen des Städtischen Museums Simeonstift Trier sowie Leihgaben aus Museums- und Privatbesitz zugesellt zu einer "Galerie der Publikumslieblinge". Christl Lehnert-Leven Ausstellung "Winkelglück und Weltensehnsucht. Die Malerfreunde Heinrich Bürkel und Carl Spitzweg"; Städtisches Museum Simeonstift Trier: 9. Februar bis 27. April 2003; Öffnungszeiten: bis 28. Februar Di - Fr 9 - 17 Uhr; Sa/So 9- 15 Uhr; ab 1. März täglich 9 - 17 Uhr Heinrich Bürkel 1802: Geburt am 29. Mai in Pirmasens. Der Vater, Gast- und Landwirt, bestimmt den Sohn zum Kaufmann. 1815/20: Lehre als Gerichtsschreiber, Entschluss zum Künstlerberuf. 1822: Übersiedlung nach München, Ablehnung des akademischen Unterrichts. 1825: Bürkel wird Mitglied des im Vorjahr gegründeten Münchner Kunstvereins, der Gegenkraft zur Akademie. Landschaftsdarstellungen mit integrierten, bevorzugt heiteren Genreszenen, werden sein Markenzeichen. Erste Verkäufe. 1834: Heirat mit Johanna von Hofstetten. Freundet sich mit dem Maler Carl Spitzweg an. Ab 1840: Etabliert sich endgültig im Kunstbetrieb. Freundschaft mit dem malenden Dichter Adalbert Stifter. 1869: Stirbt nach längerer Krankheit am 10. Juni in München und hinterlässt ein Vermögen von rund 100 000 Gulden. Carl Spitzweg 1808: Geburt am 5. Februar in München als Sohn eines wohlhabenden Kaufmanns. 1825-29: Apothekerlehre auf Wunsch des Vaters. 1830-32: Studium der Pharmazie, Botanik und Chemie an der Universität in München mit Abschlussexamen als Apotheker. 1833: Spitzweg beschließt, Maler zu werden. 1834/35: Freundet sich im Kreis Münchner Landschaftsmaler u. a. mit Bürkel an und wird Mitglied des Münchner Kunstvereins. 1860-66: Besonders ergiebige Schaffensperiode. Kann pro Jahr nur etwazehn Gemälde verkaufen. 1865/68: Spitzweg wird Ehrenmitglied der Akademie der bildenden Künste in München. 1885: Bis zuletzt künstlerisch tätig ("Der Klapperstorch", 1885), stirbt Spitzweg am 23. September nach einem Schlaganfall.

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