„Wir sind manchmal unerträglich“

Man könne sich „von Porky die Schultern massieren lassen“. Auch ein „Deichkind-Redeschwall“ steht zur Auswahl bereit. Gereon Klug, so etwas wie Deichkinds Bandmanager, präsentiert am Eingang einer zweistöckigen Münchener Hotel-Suite ein gutes Dutzend eingeschweißter Kärtchen mit solchen Aufschriften, die die Art des Interviews zum Album-Release von „Niveau weshalb warum“ vorgeben sollen. Schließlich macht „Überraschungs-Interview: Alles kann passieren“ das Rennen. Und die Elektro-Rap-Punks halten mit der Freude darüber nicht hinterm Berg: „Hättest Du Bock, mit uns mal was Spannendes zu erleben und ‘ne Runde ‘Bbbäääämmmm’ zu spielen?“, fragt Bühnen-Regisseur Henning „La Perla“. Dabei handele es sich um ein selbstkreiertes Brettspiel. Fragen zum Thema Kunst und Kommerz dürfe man den frischgebackenen Label-Inhabern aber auch stellen. Trotz einiger Schlückchen Sekt und lustiger Spielerunde beantworteten La Perla, Sebastian „Porky“ Dürre und Philipp Grütering alias Kryptik Joe diese unerwartet ernsthaft.

Sie laufen im Video zu "So ‘ne Musik" in einer Kunstgalerie umher. Ist dies das Deichkind-Niveau, auf das Sie mit dem Album-Titel "Niveau weshalb warum" anspielen?
La Perla: Also ich glaube, Deichkind sind schon immer eine Band gewesen, die Forschungsarbeit leistet. Unser Forschungsgebiet ist der schmale Grat zwischen Hoch- und Popkultur. Wir versuchen, nicht abzustürzen von diesem Grat. Das passiert aber regelmäßig. Kryptik Joe: Wo hört Hochkultur auf, wo fängt Popkultur an? Diese Frage zerlegen Deichkind gerne mal.
La Perla: Wir wollen die Leute begeistern, aber auch reizen. Wir bewegen uns gerne jenseits von dem, was Leute erhoffen oder erwarten. Das ist auch das, was viele große Künstler in der Vergangenheit als Anspruch hatten. Die Hamburger Kunsthalle steht quasi dafür.
Kryptik Joe: Es geht um diese Brücke zwischen Kunst und Kommerz. Ich sage natürlich, ich mache das, was ich für richtig halte und was ich künstlerisch ausdrücken will. Aber im Hinterkopf denke ich auch darüber nach: Wie können wir die Hallen füllen? Wenn man sich aber nur auf diese Frage konzentriert, trocknet man aus.

Diese Angst, zu kommerziell zu sein, wann wäre die denn berechtigt?
Kryptik Joe: Ist schon längst passiert. Man muss aber auch wissen, dass "Sell-Out" und Kommerz nicht dasselbe sind. Wenn man nur noch ausquetscht, ist das was anderes, als wenn man einen Traum von Erfolg hat und der Früchte trägt.

Von "Sell-Out" sind Sie also noch weit entfernt?
Kryptik Joe: Was ist "Sell-Out"? Erst, wenn der Traum vergessen wird und tot ist. Deichkind wird es nicht mehr geben, wenn wir "Sell-Out" werden. Dafür sind wir viel zu lebendige Typen.
Porky: Ich könnte das gar nicht. Da mach' ich lieber was anderes. Aber wir wollen auch keinen ausgrenzen. Warum soll die "Muddi" aus der Bäckerei am Wochenende nicht "Bück dich hoch" grölen? Darf das nur der coole Hipster? Wenn das doch alle geil finden, warum sollen wir uns dagegenstellen?
La Perla: Man kann Erfolg ja nicht steuern. Wie bei "Leider geil". Das sind Dynamiken, die man nicht vorhersehen kann. Künstler wollen immer eine Resonanz, zum Nachdenken anregen oder Freude verbreiten. Aber ob das klappt? Wir für unseren Teil hätten aber nichts anderes gemacht, wenn der große Erfolg ausgeblieben wäre. Vor 300 Leuten spielen war auch geil.

Und wie merkt man, wo die Grenzen liegen?
Kryptik Joe: Es gibt bei mir solche Phasen, in denen ich mich frage: "Mache ich das nun nur weiter, weil ich da jetzt drinstecke?" Der Gedanke auszusteigen, weil mir das alles zu kommerziell wird, ist immer wieder da. Aber die meiste Zeit weiß ich eben, dass ich genau das mache, was ich gerne mache, und das dies meine Kunst ist.

Der Liedtitel "Leider Geil" setzte sich in der deutschen Alltagssprache fest, "Remmidemmi" holten Sie aus der Mottenkiste. Sind solche Wort-Spielereien Ihr Anspruch?
Kryptik Joe: Das ist schon ein sehr wichtiger Aspekt bei Deichkind. Wir schauen erst mal, welche Themen wir ansprechen wollen. Nur Saufsongs gehen zwar ruckizucki, sind uns aber zu wenig. Wir suchen nach einem Thema und denken uns dann gewisse Zeilen oder Claims dazu aus, die das dann umschreiben. Und das Problem ist dann, daraus einen Dreieinhalb-Minuten-Song zu machen. Bei manchen Claims gelingt uns das auch mal nicht.

Es besteht also durchaus ein Bewusstsein, dass Sie mit Sprache arbeiten.
Porky: Total. Wir haben immer genügend Beats parat. Aber das dann zusammenzuführen, ist die Herausforderung. Das ist wohl Talent. Und dranbleiben muss man. Ich brauche da immer wieder einen Tritt in den Hintern, sonst würde das nichts werden. So kommen bei mir Sachen raus, da würde ich nie draufkommen (lacht).

Ebenfalls im Video zu "So ‘ne Musik" springen Sie mit Smartphone-Anzügen zwischen alten Ghettoblastern umher. Im Lied "Like mich am Arsch" sprechen Sie sich gegen soziale Medien aus. Wie stehen Sie dem Thema Technik und soziale Medien gegenüber?
La Perla: Wie gesagt sind wir ein Forschungsprojekt, bei dem es keine Vorurteile geben darf. So ist für die Bühne so einiges Neues ein Segen. Aber Technik ist eben auch Horror. Sie bringt einen von sich selbst ab. Da läuft manchmal das ganze Leben an einem vorbei. Dieser Zwist macht das Thema einfach super interessant für Deichkind.
Kryptik Joe: Ich hatte schon sehr früh ein Handy und empfand mich selber als totaler Snob. Bei Facebook dagegen weigerte ich mich lange. Aber irgendwann hängen alle an der Nadel. Diese Auseinandersetzung ist eben interessant. Wie man das alles an sich ranlässt oder nicht.

Ihr Hauptziel scheint aber, die Gemüter der Zuhörer zu spalten.
La Perla: Nicht nur deren, auch unsere. Ich bin selbst nicht mit allem einverstanden. Es gibt Momente für uns alle, in denen man einfach nur aussteigen will, weil es anstrengend wird.
Kryptik Joe: Und wie. Da kann ich nur zustimmen.
La Perla: Aber an dem Ort, an dem es weh tut, wird es für den Künstler erst spannend. Ich liebe das. Wenn ich als Bühnen-Regisseur deren Musik nach eineinhalb Jahren Studioarbeit höre und eine Show daraus entwickeln soll, dann zwingt mich das, darüber nachzudenken. Es geht darum, die Musik mit der Bühnenshow zu kommentieren oder auch ein Gegengewicht zu schaffen, sie umzudeuten, zu bestätigen oder zu verstärken. Aber ich finde beileibe nicht alles gut.
Kryptik Joe: Für den Zuhörer und Zuschauer sind wir halt streckenweise unerträglich. Manchmal wird auch Kunst gegen den Konsumenten gerichtet.
La Perla: Ich finde aber nicht, dass wir das absichtlich tun. Wir zeigen keinem offen den Mittelfinger. Wir begeben uns selbst in Situationen, die man unangenehm findet. Aber nicht so, dass es uns egal wäre. Ich begreife uns als Entertainer, als Unterhaltungstruppe. Es geht um ‘ne gute Zeit und Inspiration. Aber jeder empfindet das anders.
Kryptik Joe: Wir wollen lieber überraschen als schockieren, glaube ich.
Porky: Schocker sind wir nicht, stimmt.
La Perla: Aber ich will selber auch überrascht sein.

Und das klappt noch, wenn man lange auf Tour ist und ständig dieselben Lieder spielt?
La Perla: Absolut. Wenn man mit Leuten wie Porky oder Kryptik Joe unterwegs ist, dann ist die Überraschung vorprogrammiert. Wir machen alle unsere Dinge ganz anders. Sich darauf einzulassen, macht es toll und bereichert uns selbst.

Ist das dann die Kunst hinter Deichkind?
La Perla: Ich glaube, diese Begegnungen zu kanalisieren und in etwas zu transformieren, macht es zu Kunst, ja.

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