Zeitreise in Estland

Statt Protestmärschen und Schießereien eine singende Revolution. Das ist die estnische Art, den Kommunismus und die Sowjetunion zu vergessen.

Statt Protestmärschen und Schießereien eine singende Revolution. Das ist die estnische Art, den Kommunismus und die Sowjetunion zu vergessen. Als Estland und seine südlicher gelegenen Nachbarrepubliken Lettland und Litauen zu Beginn der 90er Jahre aus der Sowjetunion ausschieden und unabhängig wurden, begrüßten die Esten das mit Volksliedern. Dazu trafen sie sich am Strand und fassten sich an den Händen, was ihnen ihre Nachbarn gleichtaten. Das Ergebnis war eine beeindruckende, mehrere 100 Kilometer lange Menschenkette an den nördlichsten Gestaden der Ostssee. Wie auch ihre Nachbarn bewahren die Esten ihre Geschichte in Volksliedern. Die sind - im Gegensatz vielleicht zu Rest-Europa - so populär, dass auch junge Menschen in diesem Land gerne singen - und sogar freiwillig Trachten tragen. Geschichte und Zukunft liegen eben nah beieinander in Estland. Erinnerung an die Hanse-Zeit

Im frisch gebackenen nordöstlichsten Mitgliedsstaat der Europäischen Union hat sich nach über 60 Jahren sowjetischer Herrschaft eine dynamische Gesellschaft entwickelt, die sich ihrer Wurzeln sehr bewusst ist. Es ist erst 800 Jahre her, dass das Land von den deutschen Ordensrittern christianisiert wurde. Bald folgte die Hanse mit ihren ersten Handelsniederlassungen und verstärkte die Ausbreitung der lutheranischen Kirche. Deshalb prägen spätmittelalterliche Bauten das Bild der estnischen Hauptstadt Tallinn, dem ehemaligen Reval, besonders. Tallinn ist als mittelalterliche Festungs- und Hafenstadt komplett erhalten. Besonders markant sind ihre Türme, auf estnisch "Pik" genannt. Ihre Silhoutte, vom "langen Pik Herrmann" bis zur dicken "Pik Maragarethe" kündigten dem Seefahrer schon am Horizont die estnische Hauptstadt an. Tallinn zeigt sich dem Besucher frisch renoviert und herausgeputzt. Die vielen Gassen und Geschäfte laden zum gemütlichen Bummeln ein. Die Erinnerung an die Hansezeit und das Mittelaltelter ist allgegenwärtig. Restaurants wie das Olde Hansa zum Beispiel bieten original mittelalterliche Gerichte auf Holztellern bei Kerzenschein. Wer Party sucht, kommt in Tallinn ebenso auf seine Kosten, denn das Nachtleben der Stadt bietet Discos, Jazzbars und viele Szene-Kneipen. Nach einigen Tagen Aufenthalt in Estlands quirliger Hauptstadt lädt das Umland zur Erholung ein. Neben einem ausgebauten Straßennetz ist ein weit verzweigtes Netz an Radwegen vorhanden. Estland setzt auf sanften und umweltverträglichen Tourismus. Viele landschaftlich reizvolle Gegenden wurden als Naturpark deklariert. Vom Aussterben bedrohte Tier- und Pflanzenarten werden gesetzlich geschützt. Weit verstreut über das Land liegen rund 1000 Gutshöfe und Burgen, die großenteils von deutschen Gutsbesitzern und Rittern gebaut wurden - ein lohnendes Ziel für eine Rundreise mit Auto oder Fahrrad. Aus vielen dieser Güter wurden nach aufwändigen Restaurations-Arbeiten neue Herbergen für Hotels oder Wellness-Zentren. Während der Sowjetzeit dienten sie meistens als Kulturhaus oder als Unterkunft des Standortkommandanten. Die Anlage der Höfe basiert auf einem festen Konzept. Eine breite Straße führt zur Haupthaus und mündet in einen Kreisel vor dem Eingang. Hinter dem Haupthaus schließen sich oft Teich-Anlagen an. Rechts und links sind die Wirtschafts- und Gesindehäuser. Wild-romantisch ist zum Beispiel der Gutshof Saka , nördlich von Tallinn, an der alten Fernstraße Tallinn-Petersburg gelegen, bei dem statt der üblichen Teich-Anlagen die Ostsee mit Steilküste zu sehen ist. Der Gutshof bietet auch Stellplätze für Wohnmobile. Mit Ausstellungen und Kunst beeindruckt das Gut Palmse im Landkreis Virumaa, östlich von Tallinn, das als Museum ausgebaut wurde. Einer der ältesten Schlösser in Estland ist Taagepera Loss . Es liegt in der Nähe des Ortes Valgamaa in Süd-Estland an der lettischen Grenze und datiert bis ins 16. Jahrhundert. Gebaut wurde es von der deutschen Familie von Rehbinder. Damals nannte es sich Schloss Wagenküll. Besonders auffällig ist der hohe Turm des Schlosses, von dem der Blick bis nach Lettland reicht. Eine historische Holztreppe und ein großer Kamin in der Lobby vermitteln urige Ritter-Atmosphäre. Historisch besonders bedeutend ist die Festung Narva . Sie liegt an der russischen Grenze im äußersten Nordosten und markiert damit auch die Ostgrenze der Europäischen Union Hans-Peter Linz

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