Zwei deutsche Leben

Revolutionäre Lieder singen und den eigenen Wohlstand mehren, das Fernweh leben und in der Pfalz sesshaft sein – für die Pirmasenser Liedermacher Hein und Oss Kröher war das nie ein Widerspruch. Die Zwillingsbrüder machten die Lieder des einfachen Volkes wieder populär. Im September sind sie 80 Jahre alt geworden — und stehen auch weiterhin auf der Bühne.

Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) hat einmal im Gespräch mit den Kröher-Zwillingen bekannt, diese seien wesentlich an seiner politischen Sozialisation beteiligt gewesen. „Hein und Oss haben über ein halbes Jahrhundert die Liedermacher- Szene mit gestaltet und geprägt“, würdigte Beck die Brüder zum 80. Geburtstag. Sie hätten im Laufe ihrer langen Karriere bewiesen, dass Volkslieder „weder tümlich noch angestaubt oder altmodisch klingen müssen“. Und die Kröhers machen auch mit 80 weiter: 2007 traten sie bei zehn Konzerten auf, im neuen Jahr sollen es noch ein paar mehr werden.

In ihrem Leben gab es auch Tiefpunkte. Der Zweite Weltkrieg war vorbei und die Not war groß: „Wir hatten nichts zu fressen. Kein Geld, keine Kartoffeln, keine Streichhölzer, keine Schnürsenkel nichts“, erinnert sich Oskar (Oss) Kröher. Kindheit und Jugend vor dem Krieg beschreiben beide als Idylle: Sie wachsen in einer von Bildung und Besitz geprägten Bürgerfamilie auf. Der Vater, leitender Angestellter einer großen Schuhfabrik, sorgt fürs Geld, bringt aus dem fernen Hamburg von Geschäftsreisen exotische Köstlichkeiten wie Ananas mit. Heinrich (Hein) beschreibt die Mutter als „Frau mit Esprit, Ironie, mit Gedichten und Liedern“.

Im Elternhaus wird gesungen und musiziert — Mozart, Schubert, Brahms sind Teil ihrer Kindheit.Die Idylle stirbt im Bombenhagel, aus dem Krieg zurückgekehrt sehen sich beide vor dem blanken Nichts. Der Vater ist und bleibt arbeitslos, die Mutter stirbt zwei Jahre nach dem Krieg. Die Brüder holen erst mal ihr Abitur nach und schlagen sich dann zwei Jahre durch, mal als Holzfäller, mal als Schmuggler. Oskar wird nach Wanderjahren, die ihn bis nach Indien führen, schließlich Lehrer. „Der Rock des Beamten ist eng, aber warm“, sagt er.

Sein Bruder Heinrich verkauft Lastwagen, ist „jahrelang Bestverkäufer“ eines deutschen LKW-Produzenten, wie er auch heute noch mit ungebrochenem Stolz erzählt. Die Brüder wollen den eigenen Wohlstand: „Geld“, sagt Heinrich Kröher, „ist fast eine erotische Angelegenheit.“

Dem Lied der frühen Jahre bleiben sie treu — auch in Zeiten, in denen deutsche Lieder nicht viel gelten. Zugleich erweitert sich der musikalische Horizont: der amerikanische Soldatensender AFN bringt Ende der 40er, Anfang der 50er Jahre bis dahin unerhörtes Klanggut in die Westpfalz. Und mit dem AFN kommt auch der Folk nach Deutschland, werden Namen wie Pete Seeger und Joan Baez bekannt. Volkslied als Lied des Volkes, des einfachen Mannes, der demokratischen Linken, das wird in der Ära der Liedermacher wie Hannes Wader oder Franz-Josef Degenhardt auch in Deutschland populär. Zusammen mit dem Genre Volkslied werden auch die beiden Zwillinge populär.

Am Ende haben sie 17 Langspielplatten und CDs aufgenommen, sind in aller Welt aufgetreten, haben zahlreiche Bücher mit Liedersammlungen veröffentlicht. Und sie haben Altes neu entdeckt: Die deutschen Lieder der demokratischen Revolution von 1848, Partisanenlieder, Seemannslieder, Soldatenlieder, Arbeiterlieder. Sie treten in Rundfunk und Fernsehen auf, sind ein paar Wochen sogar in der Hitparade der DDR. Die Ruinenlandschaft des ausgebombten Pirmasens in Erinnerung, blicken die Brüder auf das heutige Deutschland. Sie sind mit ihrem Leben und ihrem Land zufrieden. Ewald Trojansky (dpa)

Extra
Hein und Oss: Die Zwillingsbrüder Heinrich und Oskar Kröher, haben im Laufe des letzten halben Jahrhunderts die europäische Volksliederszene von ihrer „Tümlichkeit“ entrümpelt. Ihre Stilsicherheit, klare Intonation und werksgerechte Darbietung bestätigt immer wieder ihre einmalige Position bei den „Liedermachern“, zu denen die Kröhers zählen, seit sie Mitte der 60er auf Burg Waldeck im Hunsrück die Festivalserie „Chanson-Folklore-International“ erfanden und mitbegründeten. Seither stehen sie auf den Bühnen der Welt, gastieren in den Vereinigten Staaten von New York bis San Francisco für den Akademischen Austauschdienst oder in Frankreich, Schweden und den Niederlanden für die Goethe-Institute zwischen der Mittelmeerküste und dem Polarkreis. Der Bundespräsident verlieh ihnen das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse für ihr künstlerisches Schaffen. Nationale und internationale Kulturpreise zeichnen ihr Werk aus. Die Brüder sind auch schriftstellerisch tätig. Heinrich Kröher schreibt Kolumnen in der Pirmasenser Zeitung unter dem Pseudonym Hoyna Tsiyäuna („Heiner Zigeuner“), dabei dokumentiert er die Pirmasenser Mundart. Oskar Kröher veröffentlichte ein erfolgreiches Buch („Das Morgenland ist weit“) über eine Motorradfahrt mit seinem Freund Gustav Pfirrmann nach Indien im Jahr 1951. Im Herbst 2007 zum 80. Geburtstag erschien seine Autobiografie „Ein Liederleben“. (Quelle: Wikipedia)<EA>

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