Manche tun es aus Not, andere aus Leidenschaft

Trier/Daun/Morbach · Die einen müssen zusätzlich einen Minijob annehmen, weil sie trotz Vollzeitstelle zu wenig verdienen. Andere gehen nebenberuflich einer Arbeit nach, weil sie ihnen Freude bereitet. Die Motive von Multijobbern sind so unterschiedlich wie ihr Leben.

Fest steht: Die Zahl derjenigen, die mehr als eine Arbeitsstelle haben, ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Warum das so ist, bleibt Interpretationssache. Denn politische Meinungen dazu gibt es viele, Fakten wenige.
Fest steht: So wenig, wie die Welt schwarz-weiß ist, gibt es den Prototyp des "Multijobbers", den Prototyp eines Menschen, der neben seiner normalen Arbeitsstelle noch einen weiteren Job hat. Viele sind dringend auf das zusätzliche Geld angewiesen, weil sie im Hauptberuf zu wenig verdienen. Andere hingegen arbeiten halbtags und wollen der Kinder wegen flexibel bleiben. Wieder andere machen den zweiten Job, weil er ihnen Spaß macht, weil sie so Kontakte knüpfen können oder weil man ein bisschen Extrageld doch immer gut gebrauchen kann. Der Volksfreund hat mit zwei Frauen gesprochen, deren Motive ganz unterschiedlich sind.
Die Geschichte der ersten ist schnell erzählt: Sie ist Lehrerin an einem Eifeler Gymnasium und verdient so gut, dass sie einen Minijob finanziell nicht bräuchte. Für eine Bildungseinrichtung betreut sie Ausflüge zu kulturellen Kleinoden in der Großregion, organisiert Lesungen oder Kurse. Und zwar nicht des Geldes wegen. Warum also? Die Lehrerin antwortet: "Weil es mir Spaß macht."

Sie taucht in der Minijob-Statistik genauso auf, wie Sabine Roesseler (Name geändert). Roesseler ist Mitte 20, sie hat Beamtin im mittleren Dienst gelernt und arbeitet nun Vollzeit als Angestellte einer Verwaltung im Kreis Trier-Saarburg. Mag das zunächst auch merkwürdig klingen - sie verdient zu wenig, um mit einem Job über die Runden zu kommen. Wer das höre, sei erst einmal erstaunt, sagt sie. Dabei seien die Tariftabellen für den öffentlichen Dienst doch kein Geheimnis. Derzeit bekomme sie 1390 Euro netto monatlich. "Nach allen fixen Abzügen habe ich nur noch 310 Euro übrig", sagt sie. Zu wenig, um einen Urlaub oder eine Autoreparatur bezahlen zu können. Und das, obwohl sie relativ bescheiden lebe: 400 Euro warm zahle sie für ihre 32- Quadratmeter-Wohnung in Trier, 160 Euro Rate fürs Auto, 100 fürs Tanken. Hinzu kommen Strom, Wasser, Telefon, Fernsehen, Versicherungen ... Der einzige große "Luxusposten": Eine private Altersvorsorge (120 Euro im Monat), auf die sie nicht verzichten will.
"Um nicht meine Selbstständigkeit zu verlieren und nach der Ausbildung wieder zu Hause einziehen zu müssen, kommt nur ein Leben mit zusätzlichem Job in-frage", sagt die junge Frau.
Von 2008 bis 2013 arbeitete sie zusätzlich zu ihrem Vollzeitjob in einem Kiosk am Trierer Hauptbahnhof. Immer samstags und sonntags jeweils sieben Stunden. Dann, wenn die Freundinnen bummeln gingen oder im Freibad lagen. Sie arbeitete an jedem Tag der Woche.

Um das gleiche Geld in weniger Zeit verdienen und endlich einmal ausschlafen zu können, stieg sie im Februar 2013 aufs Kellnern um. "Das Trinkgeld rettet mir den Hals", sagt sie. Und die abendlichen Arbeitszeiten seien auch besser. Zumindest könne sie am Wochenende mal mit den Freundinnen ins Freibad gehen. Dennoch sagt sie: "Wer so viel arbeitet, muss lernen, mit Verzicht zu leben." Einkaufen, Haushalt, Partner, Freunde - alles müsse kombiniert werden und schnell gehen. "Rückblickend habe ich gemerkt, dass ich meine Jugend hauptsächlich mit Arbeiten verschwendet habe", sagt Sabine Roesseler. Sie finde es traurig, dass man als Vollzeitbeschäftigte einen zweiten Job haben müsse, um nicht in die Schuldenfalle zu tappen. Gesundheitlich sei dies ebenfalls schwierig. Durch den Schlafmangel sei sie oft anfällig und müde. Krankheit könne sie sich jedoch nicht leisten, da sie sonst einen Verdienstausfall habe.
Mit den Jahren wird es für sie absehbar besser werden, da ihr Tarifgehalt in Stufen steigt. So lange will sie allerdings nicht warten: Sie hat sich um eine Zusatzausbildung beworben und hofft nun, dass ihr Arbeitgeber dies fördert. Und der Nebenjob? Den würde sie sofort aufgeben, wenn sie in ihrem Beruf genug Geld verdienen könnte.
Extra

Teilzeitarbeit: Die von Gewerkschaften beauftragte Untersuchung zu "Veränderungen der Arbeitswelt" zeigt nicht nur, dass es in Rheinland-Pfalz immer mehr Menschen gibt, die nebenberuflich in einem Minijob arbeiten. Sie dokumentiert auch eine deutliche Zunahme der Teilzeitarbeit: 2003 arbeiteten rund 14,6 Prozent der rheinland-pfälzischen Arbeitnehmer in Teilzeit. 2012 waren es 19 Prozent. Der Anteil der Vollzeitbeschäftigten hat gleichzeitig von 69 auf 64 Prozent abgenommen. Diese Entwicklung sei mit einer Ausweitung des Niedriglohnsektors einhergegangen. kahExtra

Eine Datenbank der Hans-Böckler-Stiftung, die Minijob-Daten für jede Stadt und jeden Landkreis in Deutschland liefert, zeigt: Minijobs sind vor allem in ländlichen Regionen Westdeutschlands weit verbreitet. Im Extremfall werden vier von zehn Arbeitsplätzen an Frauen auf 400-Euro-Basis vergeben - und das zu niedrigen Stundenlöhnen. Zu den Extremfällen zählt offenbar der Kreis Trier-Saarburg. Mehr noch: Er ist deutschlandweit die Nummer eins unter den Landkreisen. Getoppt wird er nur noch von der Stadt Delmenhorst bei Bremen (34 Prozent). Rings um Trier entfallen 33 Prozent aller Arbeitsplätze auf Minijobs. Bei den Frauen sind es sogar mehr als 40 Prozent. Ebenfalls hohe Werte erreichen der Eifelkreis Bitburg-Prüm und der Vulkaneifelkreis mit mehr als 26 Prozent. Die Auswertung zeigt, dass Minijobs ebenso ein westdeutsches wie ein weibliches Phänomen sind. Und sie zeigt ein starkes Stadt-Land-Gefälle. Laut Arbeitsmarktexperte Alexander Herzog-Stein von der Hans-Böckler-Stiftung liegt das an der auf dem Land noch traditionellen Arbeitsteilung vieler Paare. Denn dort seien Familie und Beruf meist schwieriger zu vereinbaren als in den Städten, was vor allem am unzureichenden Angebot an Kinderbetreuung liege. Allerdings dürfte auch die hohe Zahl der nicht erfassten Luxemburgpendler die Statistik beeinflussen. kah

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