Wer jetzt nicht fährt, der handelt verkehrt

Üttfeld · Auf in den gemeinsamen Kampf: Der Bund Deutscher Milchviehhalter hat in Üttfeld zur Protestfahrt nach Brüssel aufgerufen, wo kommende Woche die Agrarminister der EU tagen. Und noch einmal sein Konzept erläutert, mit dem die Landwirte besser durch Krisen gesteuert werden sollen.

Volles Haus in Üttfeld. Viele Milchbauern wollen am Sonntag nach Brüssel losfahren, um dort am Montag zu demonstrieren. TV-Foto: Fritz-Peter Linden

Volles Haus in Üttfeld. Viele Milchbauern wollen am Sonntag nach Brüssel losfahren, um dort am Montag zu demonstrieren. TV-Foto: Fritz-Peter Linden

Foto: (e_pruem )

Üttfeld. Bauern in der Krise, diesmal in Üttfeld: Mehr als 120 von ihnen aus der deutschen und belgischen Eifel sind auf Einladung des Bundesverbands Deutscher Milchviehhalter (BDM) in den Saal Schweyen gekommen und wollen wissen, was man tun kann.
Für Kurt Kootz, den BDM-Landesvorsitzenden, genügen da die Vorschläge des Bauernverbands (TV von Samstag und Dienstag), noch nicht, weil sie an der falschen Stelle ansetzten: "Man kann keine Blinddarmentzündung mit Kopfschmerztabletten behandeln. Wir brauchen ein Instrument, um Angebot und Nachfrage anzupassen."
Die Menge muss runter


Angebot und Nachfrage? Vollkommen aus der Balance, sagt der Landesvorsitzende von Nordrhein-Westfalen, Michael Braun: Zwar steige jährlich der weltweite Milchverbrauch - die Bauern aber produzieren zugleich viel mehr, als der Markt aufnehmen kann. Millionen von Tonnen. Ergo rutschen die Preise - und das, sagt Braun, unabhängig von zusätzlichen Problemen wie Russland-Embargo oder Chinakrise.
Der BDM hat deshalb mit einer Reihe von Agrar-Experten ein Konzept erarbeitet, von dem er sich viel verspricht. Am Kernpunkt des Papiers kommt Brüssel ins Spiel: Denn dort sei, auch auf Forderung des BDM, im vorigen Jahr die Marktbeobachtungsstelle eingerichtet worden. Allerdings darf sie eben nur das: beobachten. Eingreifen darf sie nicht.
Soll sie aber können, so eine BDM-Forderung. Braun: "Wenn man sieht, da ist eine falsche Entwicklung, muss man reagieren können. Man muss aber auch die Kompetenzen haben, zu reagieren."
Diese Befugnisse fordert der BDM für die Brüsseler Stelle - die dann auf drei Stufen agieren könne. Erkennt sie eine negative Preisentwicklung, spricht sie eine Frühwarnung aus. Aber erst wenn der Markt in eine dauerhafte Krise rutsche, soll Brüssel in der dritten Stufe die Bauern dazu verpflichten können, ihre Produktion herunterzufahren. Wer sich daran hält, erhält Ausgleichszahlungen. Wer das nicht tut, muss eine Abgabe leisten.
"Dieses Instrument greift nur bei Krisen", sagt Michael Braun. Und es sei daher auch nicht mit einer neuen Milchquote zu verwechseln.
Dennoch: "Wenn die Menge nicht stimmt, muss sie runter", sagt Erich Pohn von der belgischen Milchviehhalter-Interesssengemeinschaft. Der Landwirt aus Eynatten bricht eine Lanze für den vielgeschmähten Einzelhandel: "Die haben auch keine Lust, die Bauern alle drei Jahre vor der Tür stehen zu haben." Die Belgier haben es sogar geschafft, für ein halbes Jahr ein paar Milchcent mehr mit dem Handel zu vereinbaren. Ein Erfolg, aber auch im Nachbarland wollen alle eine langfristige Lösung.
Und die, sagt Hermann-Josef Weinandy aus Fleringen, müsse von den Bauern kommen - und aus dem Markt: Er habe bei 60 Kühen in den ersten sieben Monaten des Jahres bereits 40 000 Euro verloren. "Das kann kein Staat ersetzen. Diese Summen sind nicht zu entschädigen, das kann man nur über den Markt lösen."
Die Rahmenbedingungen dafür aber, sagt Kurt Kootz, die schaffe nun einmal die Politik. Und bei deren Vertretern werde man nur etwas erreichen, wenn man auf die Straße gehe - und die führt nach Brüssel, wo kommende Woche die EU-Agrarminister über die Krise beraten.
Kootz und viele andere im Saal rufen dazu auf, am Sonntag mit Schleppern und Viehanhängern (eine Übernachtung unterwegs muss sein), in die belgische Hauptstadt zu starten. Und zwar, abgesehen von aller Rivalität mit dem Bauernverband, gemeinsam: "Wenn wir nicht erscheinen, und zwar massiv", ruft Kootz, "wird es keinen Politiker geben, der sich auch nur einen Millimeter bewegt."
Applaus im Saal, auf nach Brüssel. Einen Hinweis "an die Presse" zur Imageverbesserung seines Berufsstands hat dann aber noch Elmar Schneider aus dem belgischen Honsfeld: "Wenn der Preis stimmt, brauchen wir auch keine Prämien mehr. Das sind 56 Milliarden für Europa. Für die Forschung. Und, genau, schreiben Sie das: für die Bildung!" Okay, erledigt. Für die Bildung. Und die Bauern.Meinung

Die Lage ist ernst
In der Regel gehen die Vertreter des Milchviehhalterbunds ja rhetorisch ruppiger zur Sache, gern auch mal gegen die oft etwas konzilianteren Kollegen vom Bauernverband. Am Dienstag in Üttfeld war das, bis auf rein inhaltliche Kritik, anders. Und wenn sogar der BDM dazu aufruft, alle Rivalität mit den Kollegen zu vergessen und gemeinsam durch die Krise zu marschieren - dann kann das nur eines bedeuten: Sie stecken wirklich in der Krise. Ab nach Brüssel also, alle zusammen. Und gute Fahrt. f.linden@volksfreund.de

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