Mudam in Luxemburg zeigt Werke des britischen Bildhauers Tony Cragg

Luxemburg · "Alle Menschen interessieren sich für die Natur", glaubt Tony Cragg. "Schließlich sind auch Menschen Naturformen." Für den britischen Bildhauer ist der natürliche Formenreichtum eine unerschöpfliche Quelle an Inspiration.

Mudam in Luxemburg zeigt Werke des britischen Bildhauers Tony Cragg
Foto: Eva-Maria Reuther (er) ("TV-Upload Reuther"
 Blick in die Grand Hall mit Skulpturen von Tony Cragg, TV-Foto Eva-Maria Reuther

Blick in die Grand Hall mit Skulpturen von Tony Cragg, TV-Foto Eva-Maria Reuther

Foto: Eva-Maria Reuther (er) ("TV-Upload Reuther"

Schon als Kind hatten den Künstler Fossilien begeistert. Als Chemielaborant gewann er Einblick in organische Strukturen. Jahre später verbrachte der Student des Londoner Royal College of Art viel Zeit im benachbarten Naturhistorischen Museum. Inzwischen besitzt er selbst eine stattliche Sammlung aus Steinen und Fossilien.

Doch nicht allein um Form geht es Cragg. Sein Bekenntnis "Ich bin ein Materialist" ist hinlänglich bekannt. Einmal mehr bestätigt der Künstler in Luxemburg, wie wesentlich ihm die Auseinandersetzung mit dem Material ist. Dort hat das Kunstmuseum Mudam dem Briten, der zu den wichtigsten Bildhauern der Gegenwart gehört, eine große Werkschau ausgerichtet. Aus den Bedingungen und dem Wesen des Materials entwickele er seine Formensprache, erklärt Cragg.

"Die Auseinandersetzung mit dem Material ist etwas ganz Spontanes. In sie fließen meine Emotionen und Befindlichkeiten ein." Die drücken sich manchmal schon in den Titeln aus. "I am alive" heißt eine sich aufbäumende Skulptur, die nach einer überwundenen Krankheit entstanden ist.

Craggs Material ist ein selbstbewusster Partner, manchmal sogar ein erbitterter Gegner. Jede Veränderung, jede überraschende Wendung verlangt neue Strategien und neue Gedanken im Künstlerkopf. Der hat, wie sein in Luxemburg ausgestelltes "Selbstporträt" mit britischem Humor zeigt, riesige Augen, Ohren und eine überdimensionierte Nase, um all die Eindrücke wahrzunehmen, die diese Welt zu bieten hat.

Deren Widersprüchen und Ungereimtheiten stellt sich der 1949 in Liverpool geborene Künstler, der bis 2013 Rektor der Düsseldorfer Kunstakademie war und heute in Wuppertal lebt, wo er eine eigene Stiftung hat, bis heute ohne Frage. "Bildhauerei ist eine politische Position", so sein Credo.

Auch in Luxemburg steht der Brite nicht an, einmal mehr die politische Bedeutung von Kunst zu unterstreichen. Der schnelllebigen Massengesellschaft setze die Kunst eine einzigartige individuelle Position gegenüber, sagt Cragg. Mittels ihrer Bilder zwinge sie den Betrachter zur geistigen Auseinandersetzung, zur Entschleunigung und Nachdenklichkeit. Craggs beredte Bilderwelt ist ausgesprochen phantasievoll und höchst dynamisch.

Wer durch die Luxemburger Werkschau geht, die Arbeiten aus den Jahren 1992 bis 2015 versammelt, ist in einem bildhauerischen Panoptikum unterwegs. Das rührt auch von der geschickten Einrichtung der Ausstellung, die auf eine Retrospektive verzichtet und stattdessen Beispiele der wichtigsten Werkgruppen in einem sehr gelungenen Dialog einander gegenüberstellt.

Im Zentrum steht dabei Craggs "Zurück zur Natur" mit seinen organischen Formen. Wie riesige Gesteinsformationen mit Brüchen und Durchlässen türmen sich Schicht um Schicht als "Pool" zu monumentalen Skulpturen. Bei anderen scheinen die Spiralen von Schneckenhäusern oder Fruchtstände mit ihren Kelchen und Ausstülpungen Pate gestanden zu haben. Immer schon war Craggs Werk dynamisch, wie seine "Early Forms" zeigen. Im Laufe der Jahre hat sich , wie hier zu sehen, die innere Energie zunehmend veräußert und Raum gegriffen, so wie jene "Points of view", die sich als zu Türmen übereinander geschichteten Ellipsen im Raum drehen und winden.

Dass Craggs Liebe zur Natur nichts Rückwärtsgewandtes hat, belegt sein Umgang mit industriellen Materialien und Alltagsgegenständen wie Gläsern, Flaschen und Nägeln oder der Gebrauch von Werkstoffen wie Acryl, neben den herkömmlichen Materialien Bronze, Holz, Glas oder Marmor.

Craggs Arbeiten sind zudem von großem sinnlichen Reiz. Manche dieser poetischen Skulpturen möchte man anfassen, sogar streicheln. Zu den poetischsten gehört seine "Forminifera" von 1996, übrigens einer der ersten Ankäufe für die Mudam-Sammlung. Am Ende der eindrucksvollen Schau steht fest: Craggs Werk bezeugt nicht nur Einfallsreichtum, Formenvielfalt und Experimentierfreude, sondern eine ungeheure geistige wie seelische Dynamik sowie jede Menge Risikofreude - eine politische Position, ohne Frage.

Die Ausstellung im Musée d'Art Moderne Grand-Duc Jean auf dem Luxemburger Kirchberg läuft bis 3. September; geöffnet täglich außer dienstags 10 bis 18 Uhr, mittwochs bis 22 Uhr. Weitere Informationen unter Telefon 00352/4537851 oder unter www.mudam.lu

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