Ein Kommissar im Interview zum Fall Mirco S.: „Manche begehen Selbstmord“

Daun · Der Kommissar Mario Eckartz klärte 2010 den Fall Mirco S. auf. Der Fall wurde nun verfilmt und feierte beim Tatort Eifel in Daun Premiere.

 Mario Eckartz

Mario Eckartz

Foto: Stefanie Braun

Vor sechs Jahren ging Mario Eckartz mit gemischten Gefühlen von der Arbeit nach Hause. Am 26. Januar 2011 hatte er, als Vertreter des Kommissionsleiters, zusammen mit seinen Kollegen den Familienvater Olaf H. festgenommen. Damit war einer der medienwirksamsten Vermisstenfälle geklärt: Der kleine Angestellte einer Telekommunikationsfirma hatte den zehnjährigen Mirco S. brutal getötet.

Eckartz ist heute 53 Jahre alt, zweiter Mordkommissionsleiter in Mönchengladbach, und Ehrengast bei der Premiere des Films "Ein Kind verschwindet" beim Tatort Eifel Festival in Daun. Im Gespräch mit dem TV erzählt er, was ihn während der Aufklärung des Falls am meisten bewegte und wieso es wichtig ist, zu reden.

In der Rückschau: Was ist Ihnen aus dem Fall "Mirco" am stärksten im Gedächtnis geblieben?
Mario Eckartz: Fast alles ist noch sehr präsent. Mein Kollege Ingo Thiel und ich haben uns im Nachgang des Falls bereit erklärt, Fortbildungen für Kollegen zu machen und eben die Geschehnisse und unsere Vorgehensweisen in einer Vortragsreihe aufzuarbeiten. Wir haben bundesweit viele gehalten über die Maßnahmen, die wir durchgeführt haben, über unsere Arbeit. Nicht um uns selbst auf die Schulter zu klopfen, sondern den Kollegen zu zeigen, dass wir sehr aufwendige Ermittlungswege gegangen sind. Wir haben den Kollegen aber auch gezeigt, was für Fehler sie berücksichtigen und vermeiden sollen. Es führt eben nicht immer alles zum Erfolg. Das Wichtige ist aber auch, dass man mit einer vernünftigen Fehlerkultur daran geht. Jedes Mal, wenn wir mit dem Vortrag unterwegs waren, war ich emotional in der Geschichte. Heute mit einem Abstand von sieben Jahren kann ich sagen, es war ein wesentlicher Bestandteil, um mit dem Fall abschließen zu können. Ich habe mich freigesprochen und es mir, im wahrsten Sinne, von der Seele geredet. Wenn man diesen Beruf lange machen will, ist es wichtig, dass man diese Dinge verarbeitet und nicht verdrängt.

Welche Emotionen hatten Sie denn damals?
Eckartz: Ich habe selber Kinder und mir immer gesagt, wenn irgendwann ein Kollege vor der Tür stünde und sagen würde, dass mein Kind bei einem Unfall ums Leben gekommen sein, dann wäre das grausam. Aber wenn jemand käme und es hieße, eines meiner Kinder sei einfach weg, dann wäre das unerträglich. Wir als Polizisten und ich als Person haben gesehen, dass wir den Eltern zumuten müssen, letzten Endes über 145 Tage hinweg nicht zu wissen, was mit ihrem Kind passiert ist. Es hat mich immer sehr mitgenommen, wenn ich den Eltern mit leeren Händen gegenüberstand und sie mich nicht etwa beschimpft, sondern im Gegenteil, umarmt haben. Sie sagten dann, wir vertrauen ihnen und finden es toll, was sie alles machen. Das war beschämend für mich. Zudem schwang immer die Gefahr mit, dass der Täter, der einmal zum Erfolg gekommen ist, zu dem Schluss kommt, dass er nicht erwischt wird, ein zweites Mal zuschlägt. Das war meine größte Sorge.

Wir sind zu einer Premiere eines Films hier, der eben diesen realen Fall als Thema hat - Ist es überhaupt gut, darüber einen Film zu machen oder ist das etwas, was im Privaten verbleiben sollte?
Eckartz: Ich habe immer die Einstellung vertreten, Autoren und Filmemacher machen Filme, und Polizisten klären Straftaten auf. Das war für mich eine gute Rollenteilung und dabei sollte es bleiben. Aber dieser Fall berührt die Menschen; es interessierte die Leute damals schon. In dem Bereich, in dem wir uns bewegt haben, was immerhin viele Quadratkilometer waren, haben wir einen starken Zuspruch aus der Bevölkerung erfahren. Man hat uns unterstützt, uns mit Hinweisen versorgt, uns aufmunternd auf die Schulter geklopft. Deswegen glaube ich, dass man in solchen Ausnahmefällen diese Thematik verfilmen kann, um eben dies darzustellen. Für mich als Polizist ist das sehr aufregend.

Sie haben eben den Täter erwähnt und die Angst, dass er merken könnte, dass er nicht erwischt wird - Kann man nicht auch Bedenken hegen, dass sich potentielle Täter in so einem Film Arbeitsweisen der Polizei "abgucken", um sich selbst entsprechend vorzubereiten?
Eckartz: Die Dinge, die im Film dargestellt werden, können nie so in die Tiefe gehen, was die technischen oder kriminaltaktischen Maßnahmen angeht. Außerdem haben wir auch damals schon die Öffentlichkeit miteinbezogen. Wir haben immer gesagt: mit unserer Arbeit und mit ihren Hinweisen klären wir das zusammen auf. Und ich denke, das war der richtige Weg.

Sie haben bei der Erstellung des Films auch ratgebend mitgewirkt...
Eckartz: Wir sind ab und an befragt worden. Mein damaliger Kommissionsleiter Ingo Thiel und ich haben entschieden, uns eben nicht rauszuhalten. Weil es uns wichtig war, nicht dieses stereotype CSI-Denken verfilmen zu lassen, sondern möglichst viel dazu beizutragen, dass authentische Polizei-Arbeit und Teamarbeit deutlich wird. Es war uns ein Bedürfnis, bei Fragen zur Seite zu stehen und den ein oder anderen Rat zu geben. In welcher Form und in welchem Umfang dem Rechnung getragen wurde, bin ich gespannt zu sehen.

Auch die Eltern und die Geschwister Mircos werden bei der Premiere dabei sein - haben Sie Angst, Ihnen zu begegnen?
Eckartz: Ich habe die Familie Schittler schon während der Kommission kennengelernt, wir haben uns auch zwischendurch noch mal gesehen, also nein. Ich begegne dieser Familie mit großem Respekt, die es geschafft hat, trotz dieses für mich nicht nachvollziehbaren Schicksalsschlages ihr Leben als Familie weiter zu meistern. Das ist in vielen Fällen nicht so ausgegangen. Da hat der Familienverband derart gelitten, dass Ehen auseinander brachen oder auch Geschwister in ihrem Lebensentwurf gescheitert sind, manche begehen sogar Selbstmord. Zu sehen, dass diese Familie so stark geblieben ist und heute anderen Menschen in ähnlichen Situationen Kraft gibt, hat meinen großen Respekt.

Können Sie sich an den letzten Ermittlungstag erinnern?
Eckartz: Wir haben an einem Montag, den 24. Januar, den dringenden Verdacht auf unseren Täter bekommen. Der Mann, den wir gejagt haben, bekam also erstmals ein Gesicht. Weil ein Kollege und ich die Vernehmung des Täters machen sollten, mussten wir uns auf diesen Menschen vorbereiten. Wir haben uns die Lebensumstände des Mannes angeschaut, um einen Eindruck zu bekommen, wie wir uns ihm nähern können. Wo lebt er, wie lebt er? Wie können wir mit ihm umgehen und wie können wir ihn festnehmen. Deshalb hat es bis zum Mittwoch, den 26. gedauert, bis wir morgens um 6 Uhr mit vielen Kollegen vor seiner Tür stehen konnten.

Können Sie sich an den Tag erinnern, an dem Sie die Akte geschlossen, die Tür hinter sich zugezogen haben?
Eckartz: Daran kann ich mich sehr gut erinnern, weil es ein gespaltenes Gefühl war. Wenn Sie nach annähernd sechs Monaten mit dem Ermittlergefühl des Aufgeklärthabens, des Fall-geklärt-Habens, belohnt werden, ist das normalerweise ein Glücksgefühl. Sie sind stolz auf das, was sie mit der Truppe geschafft haben, und das hält einige Tage oder Wochen an. Hier war das zwiegespalten: Man hat zwar etwas erreicht, von dem viele Außenstehende nie geglaubt hätten, dass wir es noch schaffen, und trotzdem tritt keine Freude oder Befriedigung ein. Als Ergebnis bleibt, dass sie den Eltern sagen müssen, dass das, was man immer befürchtet hat, eingetroffen ist. Dass Mirco tot ist. Das ist ein Spannungsverhältnis, in dem der Mordermittler sein Leben lang unterwegs ist. Leider passiert immer erst die Tat, etwas ganz Schlimmes, wenn wir zu ermitteln anfangen. Ich habe für mich den Weg gefunden, dass ich der Familie Schlitter den Sohn und Bruder nicht wiedergeben kann. Aber ich konnte zumindest verhindern, dass es weitere Opfer gibt. Das hat mich über die Zeit zufrieden gemacht.

Der Film "Ein Kind wird gesucht" soll Anfang nächsten Jahres bei Arte gezeigt werden, im Frühjahr dann im ZDF. In der Rolle des Hauptkommissars Ingo Thiel wird Heino Ferch zu sehen sein, die Rolle von Mario Eckartz übernimmt Felix Kramer. Das komplette Interview gibt es auf volksfreund.de.

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