"Wenn's gewünscht ist, klebe ich jetzt wieder Plakate"

Wenn sich im Oktober der neue Bundestag konstituiert, sind zwei Abgeordnete aus der Region nicht mehr dabei: SPD-Mann Karl Diller und der Christdemokrat Peter Rauen. Beide gehören dem Bundestag seit 1987 an, machten politisch Karriere - Diller als Finanz-Staatssekretär, Rauen als CDU-Präside und Chef der Mittelstandsvereinigung.

 Die scheidenden Parlamentarier Karl Diller (hinten links) und Peter Rauen im Gespräch mit unseren Redakteuren Dieter Lintz (vorne links) und Rolf Seydewitz. TV-Fotos: Klaus Kimmling

Die scheidenden Parlamentarier Karl Diller (hinten links) und Peter Rauen im Gespräch mit unseren Redakteuren Dieter Lintz (vorne links) und Rolf Seydewitz. TV-Fotos: Klaus Kimmling

 Haben über die Parteigrenzen hinweg für die Region vieles bewirkt: Karl Diller (SPD, links) und Peter Rauen(CDU).

Haben über die Parteigrenzen hinweg für die Region vieles bewirkt: Karl Diller (SPD, links) und Peter Rauen(CDU).

 Das komplette Interview mit Karl Diller und Peter Rauen können Sie hören unter: www.volksfreund.de/extra

Das komplette Interview mit Karl Diller und Peter Rauen können Sie hören unter: www.volksfreund.de/extra

Trier. (sey/DiL) Anlässlich ihres bevorstehenden Abschieds hat der TV die beiden Politiker zum gemeinsamen Gespräch gebeten. Und das erinnerte in seiner Harmonie ein wenig an das Fernseh-Duell Merkel-Steinmeier. Mit dem Unterschied, dass sich Diller und Rauen duzen. Und dass sie nette Anekdoten erzählten. Mit den beiden Parlamentariern sprachen die TV-Redakteure Dieter Lintz und Rolf Seydewitz.

Sie sind beide Mitte/Ende der 1960er Jahre in die CDU beziehungsweise SPD eingetreten. Hatte der Zeitpunkt etwas mit den politischen Protesten zur damaligen Zeit zu tun?

Rauen: Nein, ich war damals eher unpolitisch. Ich habe den Volksfreund von hinten bis zum Sport gelesen, das war's. Ich bin in die Partei aus Freundschaft zu einem Kegelbruder eingetreten, der war auch CDU-Geschäftsführer, dann kam ich ohne mein Zutun in den JU-Kreisvorstand. Nach einer halben Stunde habe ich die Leute, die da diskutierten, gefragt: Ich verstehe kein Wort, könnt ihr mal Deutsch reden? Da haben die anderen applaudiert. Kurze Zeit später wurde ich Kreisvorsitzender.

Diller: Bei mir gibt's gewisse Parallelen. Ich war auf meiner ersten Lehrerfortbildungs-Konferenz in Hermeskeil, es ging um Probleme im Turnunterricht. Da habe ich den Schulrat gefragt, wann denn hier die erste Mittelpunktschule gebaut werde, damit das Elend an den Schulen aufhört. Ich wusste nicht, dass das hier als Kampfbegriff aus dem SPD-regierten Hessen galt. Zum Dank hat er mich an eine einklassige Volksschule versetzt. Ich bin dann erst Mitglied in der Gewerkschaft geworden und später in die SPD eingetreten.

Sie saßen beide zunächst im Mainzer Landtag. Was war der Beweggrund, in die Bundespolitik zu wechseln? Karrieregründe?

Rauen: Nein. Mich interessierten damals politische Themen wie der Vorruhestand. Nur: Im Landtag hatte man darauf gar keinen Einfluss. Das war für mich das Hauptmotiv für den Wechsel.

1987 kamen Sie beide in den Bundestag. Hätten Sie damals geglaubt, nach einiger Zeit von Bonn nach Berlin umziehen zu müssen?

Rauen: Ich habe eigentlich immer damit gerechnet, dass die DDR eines Tages vor dem Kollaps stehen würde. Natürlich hat mich der Zeitpunkt überrascht.

Was war das für ein Gefühl, als der Bundestag im Bonner Wasserwerk am 8. November 1989 vom Fall der Mauer erfuhr?

Diller: Wir diskutierten gerade über die Rentenreform Norbert Blüms, als plötzlich die Nachricht eintraf, die Mauer sei offen. Ein sehr bewegender Moment.

Sind Sie beide aufgestanden und haben die Hymne mitgesungen?

Rauen: Natürlich. Es war auch für mich der bewegendste Augenblick im Parlament. Was mir auch besonders in Erinnerung bleiben wird: wie jetzt in der Finanzkrise ein Gesetz innerhalb weniger Tage ausgearbeitet und verabschiedet wurde. Eine Stärke unserer Demokratie, dass so etwas in Ausnahmesituationen möglich ist.

Sie verbindet, dass Sie während Ihrer Zeit im Bundestag Regierungs- und Oppositionsbänke kennengelernt haben. Wie ist das, wenn der Einfluss plötzlich da beziehungsweise wieder weg ist?

Rauen: Einfluss muss man sich erst hart erarbeiten, ebenso wie den Respekt der Kollegen. Übrigens hat es früher in "Heimat-Fragen" zwischen den regionalen Abgeordneten immer einen großen Konsens gegeben.

Diller: Auf Vorschlag von Peter Rauen haben wir eine Trierer Runde gegründet. Peter hat gesagt: Die SPD regiert in Mainz, die CDU im Bund, also lass' uns schauen, dass wir für die Region etwas gemeinsam erreichen. Dass Schwarze und Rote - und auch Grüne und Liberale aus der Region - da gemeinsam agierten, hat viele unserer Gesprächspartner verblüfft und einiges bewirkt.

Gibt's die Trierer Runde noch?

Rauen: Leider nein.

Diller: Nach einem Personalwechsel war der Wurm drin.

Rauen: Ich kann all unseren Nachfolgern nur raten, im Interesse der Region die Parteibrille auch mal abzulegen und kleinkarierte Scharmützel zu lassen.

Die Frage nach den Unterschieden zwischen Oppositions- und Regierungsarbeit ist noch offen

Rauen: der ist ziemlich groß.

Diller: Als Opposition schreibt man tolle Entwürfe und Anträge, aber die sind oft

Rauen: für den Papierkorb.

Diller: aus welchen Gründen auch immer. Das bringt das Macht-Spiel zwischen Regierung und Opposition mit sich. Trotzdem kann man dieses Prinzip etwas aushebeln.

Ein Beispiel?

Diller: Die Mosel-Vertiefung. Ich war damals im Haushaltsausschuss. Es gab keine Mittel für die Mosel-Vertiefung, aber für den Ausbau der Saar. Unser Berichterstatter im Ausschuss, Ernst Waltermathe, war ein Schifffahrts-Experte aus Bremen. Dem habe ich gesagt, auf der Mosel fahren die Schiffe mit 70 Prozent Auslastung. Wäre die Fahrrinne 30 Zentimeter tiefer, könnten sie mit 100 Prozent fahren. Das hat den überzeugt. Wir konnten die Berichterstatter von CDU und FDP gewinnen, und 15 Millionen Mark wurden vom Etat-Ansatz für den Saar-Ausbau weggenommen und der Mosel zugeschlagen.

Rauen: Der Karl hat recht, man kann schon einiges bewegen. Es kommt halt oft darauf an, die richtigen Leute im richtigen Moment richtig anzusprechen.

Auch von Ihnen ein Beispiel?

Rauen: Mir hatte ein Oberst gesagt, dass die Dauner Aufklärungsstelle bei der Bundeswehr-Strukturreform auf der Streichliste steht. Im Prinzip war die Sache gelaufen. Da habe ich dem damaligen Verteidigungsminister Stoltenberg, der eigentlich mit Leib und Seele Finanzpolitiker war, gesagt, dass 25 Prozent des Brutto-Inlandsprodukts unserer Region durch Militär-Einrichtungen erarbeitet werden. Und dass bereits der Abzug der Franzosen feststehe und die Schließung der Bitburger Airbase. Das leuchtete ihm ein, damit war Daun gerettet.

Also lautet ein Tipp an die Adresse von Bundestags-Neulingen: Lernt die richtigen Leute kennen und geht in die Ausschüsse, wo ihr etwas bewegen könnt?! Da hat ja der Trierer CDU-Mann Bernhard Kaster alles richtig gemacht, als er 2002 direkt in den Haushaltsausschuss kam

Diller: Kaster hat einen Riesenfehler gemacht, als er in der folgenden Legislaturperiode auf den Ausschuss-Sitz zugunsten des Postens als Parlamentarischer Geschäftsführer verzichtet hat. Da teilt er heute Räume ein und Personal zu, aber politisch Ich kenne niemanden, der freiwillig aus dem Ausschuss rausgegangen ist. Da spielt die Musik.

Rauen: Was du sagst, Karl, ist natürlich richtig. Trotzdem hätte ich nicht unter die "Buchhalter" gehen wollen. Auch der Haushaltsausschuss ist letztlich doch Vollzugs-Organ der großen politischen Entscheidungen.

Diller: Die Sitzungen sind keineswegs vergnügungssteuerpflichtig. Meine längste begann morgens um 9 Uhr und dauerte bis 3.20 Uhr am nächsten Morgen. Da braucht man Sitzfleisch.

Haben Sie als alte Fahrensleute einen Tipp für Ihre Nachfolger?

Rauen: Achtet darauf, dass Ihr möglichst schnell Respekt und Akzeptanz bei euren Fraktionskollegen bekommt. Im Bundestag ziehen über 600 Abgeordnete an einem Tischtuch, das viel zu kurz ist. Da gehört schon Durchsetzungsvermögen dazu.

Diller: Ich würde noch hinzufügen: Man muss immer kollegial sein. Egoismus bringt nichts.

Rauen: Richtig! Ich bin heute noch gut bekannt mit den SPD-Leuten Peter Struck und Franz Müntefering. Mit denen habe ich früher in der Bundestags-Mannschaft Fußball gespielt. Das verbindet uns bis heute.

Stichwort Medien: Was hat sich da in den letzten Jahren und speziell seit dem Umzug nach Berlin geändert?

Diller: Wo früher überwiegend die schreibende Zunft vertreten war, verschwindet jetzt alles hinter einem Wald von Kameras. Wenn man sich äußern darf, bitte nur maximal 29 Sekunden. Deshalb gibt es immer mehr Schlagworte und Sprechblasen.

Rauen: Und es gibt zu wenige, die dagegenhalten. Wenn ich ein 13-Sekunden-Statement abgeben sollte, habe ich gesagt: Schönen Dank, such' dir einen anderen Dummen! Noch ein Unterschied ist der Verlust der Vertraulichkeit: In Berlin kommst du aus einer internen Sitzung mit ein paar Leuten raus, und draußen weiß schon jeder, was du drinnen gesagt hast. Das ist unanständig.

Klingt so, als seien Sie froh, dieses Kapitel jetzt abzuschließen

Rauen: Es war eine wunderschöne Zeit. Aber ich freue mich jetzt auch, aufzuhören und mich mehr der Familie zu widmen. Das kam immer zu kurz.

Diller: Bei mir ist es ähnlich. Ich kann das guten Gewissens machen, meine Schlussbilanz fällt ebenso wie beim Kollegen Peter Rauen positiv aus. Was wir beide in all den Jahren insbesondere für die Verkehrs-Infrastruktur getan haben, hat die Region vor-angebracht.

Ziehen Sie sich mit dem Ausscheiden aus dem Bundestag auch aus der Parteipolitik zurück?

Diller: Natürlich werde ich weiterhin SPD-Mitglied sein und um jeden Wahl-Erfolg zittern. Und wenn's gewünscht ist, klebe ich auch wieder Plakate. Als Rentner hat man ja dafür wieder Zeit.

Rauen: Ich kann loslassen. Es ist wie bei Karl: Wer mich um Rat fragt, bekommt eine Antwort. Aber ich werde mich niemandem in der Partei aufdrängen. Ich mache jetzt erst mal drei Monate gar nichts. Und danach: ein Drittel Familie, ein Drittel Freizeit und ein Drittel noch etwas anderes .

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