Aufweichung der Bürgerrechte - Kommentar zu den Folgen der Terroranschläge in Paris

Trier · Nach den Terroranschlägen in Paris liegen die Nerven blank, nicht nur bei den Menschen in Frankreich, sondern auch in den Benelux-Ländern und Deutschland. In dieser Woche häuften sich zuletzt Meldungen zu überzogenen Polizeieinsätzen und vorläufigen Festnahmen unbescholtener Bürger, wie zuletzt in Alsdorf in Nordrhein-Westfalen.

Innenpolitiker in ganz Europa wittern die Chance, die Befugnisse der Sicherheitsbehörden deutlich zu erweitern. Sie wollen, frei nach dem gerade verstorbenen Helmut Schmidt, bei der Abwehr des Terrors bis an die Grenzen des Rechtsstaats gehen, notfalls auch darüber hinaus.

Doch schaut man genauer hin, dann haben sich diese Grenzen seit der Bedrohung durch die Rote Armee Fraktion in den 70er Jahren immer weiter zuungunsten der bürgerlichen Freiheit verschoben. Reflexartig sind nach jedem schlimmen Anschlag der vergangenen Jahre die Bürgerrechte weiter eingeschränkt worden, und die Gesellschaft hat, geprägt von den Schockbildern toter Menschen in London, Madrid oder Paris, diese Veränderungen mitgetragen. Die ursprünglich stark umstrittene Anti-Terror-Datei ist längst deutscher Konsens. Die Idee dahinter: Die Behörden können schon vor dem Begehen einer Straftat aktiv werden. Seit der NSA-Affäre in diesem Jahr ist zudem klar, dass die Totalüberwachung der Bürger auch in vielen Ländern der westlichen Welt vollkommen normal ist. Während das in Deutschland zumindest zu heftigen Diskussionen geführt hat, ist diese weitreichende Überwachung in Frankreich legal. Entsprechende Gesetze hat das Parlament dort im Sommer verabschiedet.

Trotzdem sind die Planungen für die Anschläge in Paris nicht aufgeflogen, und die Sicherheitsbehörden haben, wie schon bei all den anderen mörderischen Terrorattacken davor, dabei versagt, uns Bürger vor diesen Angriffen zu beschützen. Dennoch haben nach einer aktuellen Umfrage 84 Prozent der Franzosen keine Probleme mit einer weiteren Einschränkung ihrer Grundrechte, in Deutschland sieht es ähnlich aus. Dabei ist es doch genau das, was die Terroristen wollen. Unsere Freiheit ist die größte Beleidigung für diese Art radikal religiös motivierter Verbrechen. Die vorbeugende Absage von Großveranstaltungen, wie beispielsweise Rockkonzerten und Bundesligaspielen, oder eine Bundeswehr, die schwer bewaffnet über unsere Weihnachtsmärkte patrouilliert, wäre genau der Erfolg, den sich die Terrorplaner des Islamischen Staates wünschen.

Unsere Gesellschaft steht für die Freiheit, an einen Gott zu glauben oder ihn für Unsinn zu halten. Zu ihr gehören aber auch Pegida ebenso wie Zehntausende Menschen, die jubelnd erschöpfte Flüchtlinge aus Syrien begrüßen. Unsere Grundwerte sind geprägt von Toleranz gegenüber Andersdenkenden, deren Recht auf Meinungsäußerung wir mit allen Mitteln verteidigen. Die breite Mehrheit unserer Gesellschaft will keinen Gottes- oder Polizeistaat. Für diese Art zu leben sind die Menschen in Madrid, London und zuletzt Paris gestorben. Ihr Vermächtnis an uns ist es, nie an dieser Freiheit zu zweifeln und notfalls auch dafür zu kämpfen.

t.zeller@volksfreund.de

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