Provokation zum Nachdenken

Wolfgang Böhmer ist immer für eine provokante These gut. Mal befand Sachsen-Anhalts CDU-Landesvater, dass der Osten dem Westen schlicht "lästig" sei, dann suchte er die hohe Zahl von Kindestötungen in Neufünfland als Spätfolge der DDR-Abtreibungspraxis zu interpretieren.

Das schlägt allem ins Gesicht, was bei den Christdemokraten offizielle Parteilinie ist. Dort firmieren die Lafontaines und Gysis als gefährliche Kommunisten, die gefälligst in die Schmuddelecke gehören.

Als ob es so einfach wäre! Böhmer hat dann auch nichts anderes getan, als diese Illusion zu hinterfragen. Schon seit geraumer Zeit liegt die Linkspartei in der ostdeutschen Wählergunst klar auf Rang Eins. Dahinter streiten CDU und SPD um die Plätze. Das ist schon deshalb erstaunlich, weil die amtierende CDU-Bundeskanzlerin selbst aus dem Osten kommt, aber zwischen Rügen und Fichtelberg ganz offensichtlich nicht als Landsfrau wahrgenommen wird. Auch gelegentliche Zehn-Punkte-Pläne für die neuen Länder konnten nichts am christdemokratischen Elend im Osten ändern. Der Geruch von Aktionismus war einfach stärker. Man mag der SPD vorwerfen, dass sie einen politischen Eiertanz um die Linkspartei aufführt. Bei den Christdemokraten dominieren im Umgang mit den Linken praktisch immer noch die "Rote"-Socken-Plakate aus dem Wahljahr 1994. Das ist auch nicht besser, zumal bei einer scheinbar unaufhaltsam erstarkenden Linken. Ein Regierungsbündnis beider Parteien wäre schon wegen der tiefen inhaltlichen Gräben absurd. Das entbindet die CDU aber nicht von einer inhaltlichen Auseinandersetzung. Die überlässt Merkel bislang komplett den Sozialdemokraten. Eine politische Weisheit besagt, dass Bundestagswahlen allein im Osten nicht gewonnen, wohl aber verloren werden können. Unter diesem Aspekt darf die Union Böhmers Gedanken nicht einfach als Sommerlochdiskussion abtun.

nachrichten.red@volksfreund.de

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