Schwund im "Rentnerverein"

Es stimmt nicht, dass die jungen Leute nicht mehr an Politik und Gesellschaft interessiert wären. Zu Obama strömten 200.000 Menschen, zur Anti-G8-Demo reisten 100.000, und die Kirchentage sind Publikums-Renner. Nur die Volksparteien SPD und CDU werden gemieden wie die Pest.

Da hilft es wenig, dass die CDU jetzt triumphiert, sie habe die Sozis überholt. Die SPD hat inzwischen die Hälfte ihrer einst über eine Million Parteigänger verloren, was auch mit der Konkurrenz von Grünen und Linken zu tun hat, die CDU ein Viertel, was jedoch im Grunde genauso schlimm ist, da sie keine Abspaltungen verschmerzen musste. Tendenz bei beiden: weiter sinkend.

Parteiversammlungen sind Senioren-Veranstaltungen. Jedoch spielt man nicht Rommee, sondern hört sich ersatzweise Vorträge an, um anschließend ein wenig zu diskutieren. Wichtig sind die Gremienwahlen und vielleicht noch die Vorbereitung auf lokale Parteitage.

Ein paar Jung-Dynamiker nutzen ihre Ausnahmestellung im "Rentnerverein" (nichts gegen Rentner), um sich Mandate zu sichern. Dann geht man wieder nach Hause und trifft sich im Winter am Info-Stand, Wahlkampf machen und Glühwein trinken. Jährlich bereinigt der Tod die Kartei.

Die Listenwahl ist der größte Feind jeder Begeisterung für Politik. Und das Delegiertenprinzip. Die Möglichkeiten des Einzelnen oder kleiner Gruppen, für eine Person oder ein Ziel zu mobilisieren, sind derart kanalisiert, dass es einfach keinen Spaß macht. Lust kann nicht aufkommen, wenn alles seinen im Statut geregelten Weg geht. Von unten nach oben zwar, aber dort steht eine Tonne, in die getreten wird, was der Führung nicht passt. Dass ein solches System auch oben keine Politiker mit Charisma und Risikobereitschaft hervorbringt, nur solche, die gut taktieren können, ist die natürliche Folge.

Es gibt Ansätze, um Parteien wieder spannender zu machen. Die Urwahl von Kandidaten für öffentliche wie parteiinterne Ämter gehört dazu, mehr offene Abstimmungen über inhaltliche Positionen, Schnupper-Mitgliedschaften, das Durcheinanderwirbeln von Kandidaten-Listen durch die Wähler, Volksabstimmungen. Alles Dinge, die auf eine größere Personalisierung und stärkere plebiszitäre Elemente in den Parteien und im Wahlsystem hinauslaufen. Aber die herrschende Funktionärsschicht ist zu solchen Reformen nicht bereit. Denn so wie es ist, hat sie alles im Griff. Dann soll sie sich auch nicht über den Mitgliederschwund beklagen.

nachrichten.red@volksfreund.de

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