Jonathans Reise

Jonathan wollte sich so gerne einen Wunsch erfüllen. Einmal mit dem Auto nach Rom fahren.

Als Konditor und Bäcker hatte er nie Zeit, die Devise lautete stets: arbeiten und schlafen.
Jonathans leckere Törtchen und Pralinen waren weit und breit begehrt. Er zauberte immer neue Kreationen, die widmete er seiner Frau. Sie verstarb schon vor vielen Jahren, und seitdem lebte er allein. Doch wenn Enkel oder Tochter ihn besuchten, freute er sich immer riesig, dann gab es einen Kaffeetisch vom Feinsten.
Lange Jahre hatte er sich nichts gegönnt. Aber das sollte sich ändern, denn vor wenigen Monaten wurde er Rentner. Er las bisher viele Romane, doch mit der Zeit hatte er genug davon. Jonathan wollte selbst etwas erleben!
Obwohl er mit Computer wenig am Hut hatte, schaffte er sich sogar ein Smartphone an. Per Internet lernte er eine Frau kennen.
Lucietta hieß die Schöne und lebte in Rom. Allein ihr Name ließ ihn sofort dahinschmelzen wie eine seiner besten Pralinen. Es war Liebe vom ersten Moment an. Sogar ein wenig deutsch sprach sie, denn ihre Großmutter kam aus Tirol.
Fünfzehn Jahre war Lucietta jünger als er, und er fühlte, wie die Jugend in ihm wieder zurückkam. Jonathan hatte Schmetterlinge im Bauch und war überaus glücklich. Endlich Lucietta in die Arme schließen, das war sein sehnlichstes Begehren. Aber nach Rom fahren, das war etwas ganz besonderes. In Rom kann man wahrlich viel erleben.
Ein großer Wunsch in Jonathans Leben:den Vatikan besuchen und den Papst sehen.
Also beschloss Jonathan gleich am nächsten Tag loszufahren. Es war ein herrlicher Frühlingsmorgen. Das Auto war zwar schon sehr alt, man könnte sagen, es passte zu ihm. Solange es fuhr, gab es auch kein anderes. Warum auch?
Noch sehr müde, schaute er sich nochmals die Strecke auf der Karte an, die er fahren musste. Ein Navi hatte er nicht, er hatte bisher nie eines gebraucht. Jonathan war kein Vielfahrer und ein Raser auf keinen Fall. Früher hatte er mit seiner Frau eher kleine Ausflüge gemacht, aber eine solch weite Fahrt unternahm er nun zum ersten Mal.
Das Auto war vollgepackt mit Geschenken, Proviant und Kleidung, jetzt konnte es endlich losgehen. Lucietta war informiert, er erhielt von ihr eine CD mit italienischer Folklore. Die Autobahn zog sich wie Gummi und Jonathan fuhr und fuhr. Er hörte die Musik bereits zum wiederholten Mal, träumte dabei von seiner Lucietta.
Plötzlich bekam er einen riesigen Schreck, er musste über irgend etwas gefahren sein. Er lenkte sofort auf die Standspur, und stellte fest: der rechte hintere Reifen war platt.
Nicht so schlimm, dachte er, ich habe ein Handy und rufe den Pannendienst an. Doch, oh weh, der Akku vom Handy war leer. Es blieb ihm nichts anderes übrig, er musste zur nächsten Notrufsäule laufen.
Die freundliche Damenstimme beruhigte ihn, der Pannendienst sei praktisch schon unterwegs. Aber es dauerte und dauerte, Hunger kam auf und er verspeiste ein leckeres Schinkenbrötchen.
Er war in Sorge, wollte doch so schnell in Rom sein, Lucietta anrufen ging nicht, wegen des leeren Akkus.
Aber die Liebe zu ihr übersteht jede Autofahrt. Endlich kam ein Abschleppwagen. Im Nu hatte der Monteur den Ersatzreifen aufgezogen.
Jonathan musste aber in eine Autowerkstatt wegen eines neuen Reifens. Deshalb musste er von der Autobahn hinunter auf die Landstraße, er befand sich nun im tiefsten Bayern. Jonathan genoss die schöne Landschaft mit dem saftigen Grün der Wiesen.
Langsam verabschiedete sich die Sonne, Wolken zogen am Himmel auf und die Dämmerung legte sich auf die Erde. Jonathan bewunderte die Schönheit der Natur.
Doch wieder riss sein Auto ihn aus allen Träumen. Es fuhr immer langsamer, bis es anhielt. Was war das nur? Vergaß er zu tanken? Doch Benzin hatte er noch. Das Auto hatte einfach den Geist aufgegeben.
Jonathans gute Laune schwand immer mehr, er saß im Grünen inmitten einer Schafherde, in Gedanken war er wieder bei seiner großen Liebe Lucietta.
Von Ferne sah er zwei Lichter, die langsam auf ihn zukamen. Es war ein Traktor, darauf Bauer Sepp, der Jonathan seine Hilfe anbot. Mit dem Traktor schleppte er das Auto zu seinem Hof.
Bauer Sepp und seine Frau waren sehr gastfreundlich. Sepp kam gleich mit Bier und einer Flasche Enzian an, die Bauersfrau mit Schinken- und Käsebrot. Auch der Sohn und die Tochter kamen hinzu. Es wurde viel erzählt und gelacht und nicht wenig getrunken.
Jonathans Pralinen, die er Lucietta schenken wollte, wurden auch probiert, bis die Packung leer war. Vom vielen Alkohol wurde Jonathans Kopf schwer, er wollte schlafen, aber wo?
Auf dem Bauernhof war kein Bett mehr frei, deshalb schlug Bauer Sepp den Heuschuppen vor. Im Schlafsack und mit einer gewissen Bettschwere fand Jonathan das Schlafen im Heu großartig. Er fiel sofort in einen tiefen Schlaf. Dann träumte er von seiner großen Liebe, er fühlte sich wie im siebten Himmel und sie küssten sich.
Es wurde schon hell und Jonathan wurde plötzlich wach. Oh Schreck, er blickte in ein riesiges Maul und eine große Zunge. Berta, die Lieblingskuh von Bauer Sepp, hatte ihn wach geküsst!
Wie oft wird wohl Lucietta an Jonathan denken? Welche Erlebnisse erwarten ihn noch?

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