Raus aus dem alten Trott

Allenthalben geht es aufwärts in Deutschland: Die Wirtschaft brummt, viele Betriebe sind ausgelastet und suchen händeringend qualifizierte Mitarbeiter, und auch die Konsumenten kommen ihrer Pflicht nach und konsumieren, was das Zeug hält.

Wen wundert's da, dass die jungen Leute nicht nachstehen wollen. Wenn schon die Pisa-gemäßen Erfolge ausbleiben, dann trinken sie sich halt langsam, aber stetig an die Weltspitze künftiger Alkoholiker. Auch eine Art des Aufschwungs. Ernsthaft: Es bringt nichts, wieder mal nach Schuldigen zu suchen und sie in den Eltern, den Wirten und Veranstaltern zu finden. Wir alle sind das Problem. Wir, die es zulassen, im Alkoholiker lediglich einen bedauernswerten Kranken und nicht zugleich den Täter zu erkennen, die permanent Gründe für heftig abgefüllte Erwachsene suchen. Wir taugen nicht dazu, Kindern und Jugendlichen art- und altersgerechte Vortänzer zu sein. Vermutlich täten die jungen Leute gut daran, sich ein anderes Volk an erwachsenen Vorbildern zu suchen. Es muss endlich mal eine Ende haben, über alles und jedes zu jammern. Auch andere Völker müssen hart und härter arbeiten und sehen sich starkem Konkurrenzdruck ausgesetzt - nicht zuletzt doch immer noch durch uns, die Deutschen. Was also soll das Lamento, wenn auch uns der Sturm des Wettbewerbs ins Gesicht bläst. Schauen wir uns ruhig im Einzelfall diejenigen an, die über den Arbeitsdruck stöhnen. Sicherlich nicht alle, aber etliche und damit zu viele von ihnen gelten unter Kollegen als Nichtsleister und beim Arbeitgeber als Versager. Wir alle sind Adressaten der Ratschläge zweier außergewöhnlicher Bundespräsidenten: Roman Herzog mahnte den Ruck an, der durch die Gesellschaft gehen müsse, und Horst Köhler plädiert beständig für Reformen. Reformen heißt raus aus dem alten Trott, auf zu neuen Ufern. Zum Beispiel im Gesundheitswesen: Nicht noch mehr gutes Geld dem schlechten hinterher in ein morbides System werfen, sondern die Verursacher in Haftung nehmen. Das beginnt beim Übergewicht und Bewegungsarmut, geht über den Tabakgenuss und endet beim Alkoholmissbrauch. Damit ließe sich viel Geld einsparen, und die Heranwachsenden hätten brauchbare Vorbilder. Wolf-Rüdiger Wulf, Trier

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