Soziales

Zu den Artikeln "Niedriglohn und kurze Jobs dominieren" (TV vom 9. September) und "Studie: Superreiche werden immer reicher" (TV vom 22. September):

Geld ist der Stoff, aus dem alle Träume geschmiedet sind. Der Weg des Geldes und der Weg der Arbeit haben nur noch wenig miteinander zu tun, weil der Tanz ums Goldene Kalb wichtiger ist als körperliche Arbeit. Geld hat zwei Seiten, eine göttliche, die Tatsachen schafft, und eine teuflische, die den Geist verwirrt. Tatsachen werden in den Medien mit Stolz verkündet, wenn Wirtschaft und Handel boomen und ein Steuersegen wie ein Tsunami in die Kassen des Finanzministers gespült wird. Schwarze Null war gestern. Mehrere Milliarden Euro sind von Finanzminister Wolfgang Schäuble zu verteilen. Aber der verwirrte Geist des Geldes, vom Teufel geleitet, sorgt dafür, dass diejenigen, die alles mit den Händen und mit ihrem Schweiß erarbeitet haben, nicht an der Verteilungsmaschinerie berücksichtigt werden. Erst recht nicht die Billiglohnarbeiter von Verleihfirmen, befristete Beschäftigte, Ein-Euro-Jobber, Hartz-IV-Empfänger, die dazuverdienen können. Sie sitzen nicht an den Verhandlungstischen und nicht in den Parlamenten. Da der Weg des Sozialstaates und der Sozialen Marktwirtschaft stets von Untergangsprophezeiungen seiner Gegner flankiert war, konnten jene Protagonisten die Soziale Marktwirtschaft zum Marktradikalismus mutieren lassen. Der Staat und Gesetzgeber stand plötzlich mit seiner Gesetzgebung als eine gigantische armutsproduzierende Maschine da. Agenda 2010, Hartz IV, Riester-Rente waren Geschenke an die Wirtschaft, die es erreicht hatte, dass mit Lohndumping der Niedriglohnsektor ungebremst wachsen konnte. Zahllose Subunternehmen produzieren inzwischen in den Betrieben, denen man auch die Lohndrückerei überlässt. Man beutet nicht mehr selbst aus, man lässt ausbeuten. Es ist erschreckend, wie Politik und Gesellschaft den Missbrauch der Leiharbeiter in den Betrieben hinnehmen. Was nützt dem Billiglöhner die von Andrea Nahles verkündete Neunmonatsfrist, wenn Arbeitsverträge höchstens acht Monate gelten. Was kümmern uns millionenschwere Steuerhinterzieher, wenn wir dem ärmsten der armen Hartz-IV-Empfänger nachweisen können, dass ihm der Wintermantel gar nicht zusteht. Vertrauen wir also weiter der "sozialen Kompetenz" der Konzernchefs, Regierungsberater, Parlamentarier, Börsenbroker, Hedgefondsmanager und sonstigen Eliten des Landes, deren Rechenkünste bei weitem nicht an die der Milchmädchen herankommen. Heinz Erschens, Kell am See Jeder Bürger hat Rechte und Pflichten. Zu Recht verlangt der Staat von uns die Erfüllung unserer Pflichten. Im Gegenzug dürfen wir erwarten, dass sich der Staat für uns einsetzt. Gemeinsam mit uns Sparern äußern Banken und Politiker ihren Unmut hinsichtlich der Niedrigzins-Politik. Warum gehen sie dann nicht massiv dagegen vor? Ist Herr Draghi unantastbar? Oder müssen wir - in der Hoffnung auf Erhörung - unser Nachtgebet jetzt an ihn richten? Dann würde ich meine bereits Jahrzehnte andauernde Gebetabstinenz beenden. Sicher, die Banken geben bisher noch keine Negativzinsen an Privatkunden weiter, beginnen aber zumindest an der Gebühren-Schraube zu drehen. Die Geschröpften sind am Ende jedenfalls wir. Herr Draghi wird schon wissen, wie er sein Kapital gewinnbringend anlegt. Dem Normalbürger, der sich im Finanzwesen nicht so gut auskennt, bleibt nur die Möglichkeit, auf Gewinne zu verzichten oder zu zocken und damit den Verlust seiner Ersparnisse zu riskieren. Und die Regierung? Sie sollte sich dringend Gedanken darüber machen, dass die Rechten auch wegen des durch die Niedrigzinsen verursachten Verdrusses Wähler gewinnen. Unsere Unzufriedenheit hinsichtlich der Tatsache, dass sich Sparen nicht mehr lohnt, könnten wir ansonsten allenfalls deutlich machen, indem wir auf die Straße gehen und dagegen demonstrieren, nicht nur in Deutschland, sondern in allen betroffenen Ländern. Die Montags-Demos in der DDR haben seinerzeit auch etwas bewirkt. Wenn man Gerechtigkeit so versteht, dass Vergewaltigungsopfer in Schutzhaft genommen und die Täter freigelassen werden, da die Opfer in der Schutzhaft vor ihnen sicher sind, dann ist es auch gerechtfertigt, Sparer zu bestrafen und Schuldner zu belohnen. Das entspricht aber wohl ausschließlich dem Gerechtigkeitsempfinden der EZB. Vielleicht ist es naiv, wenn ich als absoluter Laie in Finanzangelegenheiten der Meinung bin, Banken oder Politik könnten gegenüber der EZB ein Umdenken erreichen. Ansonsten bleibt wirklich nur die "Montags-Demo", um vielleicht eine Wende herbeizuführen. Klaus Kraemer, Bitburg

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