Caritas-Chef: Arme Menschen leben nicht so lang

Trier · Auch wer arm ist, hat Anspruch auf ärztliche Versorgung. Trotzdem sind Menschen mit wenig Geld oft kranker als reichere. Darüber sprach unser Redakteur mit dem Generalsekretär des Deutschen Caritasverbandes, Georg Cremer, am Rande eines Vortrags in der Bezirksärztekammer in Trier.

Es dürfte doch in Deutschland nicht sein, dass Armut krank macht.
Georg Cremer: Der Zusammenhang von Armut und Krankheit besteht nicht darin, dass armen Bürgern der Zugang zu Ärzten oder Krankenhäusern verweigert wird. Wir haben einen Zusammenhang zwischen sozialem Status und der Lebenserwartung. Offensichtlich ist Gesundheit mehr als das, was die Krankenversicherung bereitstellen kann.

Wie erklärt sich dieser Zusammenhang?
Cremer: Das hängt zu einem Teil mit einem erhöhten Risikoverhalten von Menschen mit niedrigem sozialem Status zusammen. Aber das alleine ist es nicht. Wer über einen guten Job, eine gute Bildung, eine stabile Lebensperspektive verfügt, hat offensichtlich auch eine höhere Widerstandsfähigkeit gegen gesundheitliche Gefahren.

Arme sterben also früher als Reiche?
Cremer: Arme Menschen haben eine um acht bis zehn Jahre geringere Lebenserwartung als besser Situierte. Ich will das gar nicht skandalisieren, denn es gibt niemand, der hierfür so einfach verantwortlich zu machen wäre. Aber diese Diskrepanz muss uns irritieren und anspornen, etwas zu ändern.

Was oder wer ist eigentlich arm?
Cremer: Als arm gilt derjenige, dessen Nettoeinkommen unter 60 Prozent des mittleren Einkommens liegt. Bei einem Alleinstehenden ist das derzeit ein Nettoeinkommen von unter 930 Euro im Monat. Unter den so erfassten Armen sind auch Studierende oder Auszubildende, die vorübergehend wenig Geld, aber Perspektiven haben. In dauerhafter Armut leben Langzeitarbeitslose, viele Alleinerziehende und Menschen mit einer sehr schlechten Berufsausbildung. Das Hauptrisiko von Armut ist Langzeitarbeitslosigkeit.

Es geht beim Zusammenhang zwischen Armut und Krankheit also nicht darum, dass sich die Betroffenen eine Gesundheitsversorgung nicht leisten können?
Cremer: Für die große Mehrheit in der Bevölkerung gilt das nicht. Aber es gibt Personengruppen, für die sich der Zugang zur Gesundheitsversorgung sehr schwierig gestaltet. Dazu gehören zum Beispiel die Menschen, die in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität leben und davor zurückschrecken, in ein Krankenhaus zu gehen. Sie haben Angst davor, entdeckt und dann abgeschoben zu werden. Es gibt aber auch Personen, die sich in Deutschland legal aufhalten und dennoch nur Anspruch auf Akutbehandlung haben. Dies gilt für Asylbewerber. Das muss sich dringend ändern.

Was würde das kosten, alle Asylbewerber und geduldeten Flüchtlinge in die gesetzliche Krankenkasse aufzunehmen?
Cremer: Wir haben das ausrechnen lassen. Wir reden dann von Mehrkosten für jeden Versicherten in Deutschland von 20 Cent pro Monat. Es liegt also nicht am Geld. Es liegt daran, dass die Gruppe der Flüchtlinge keine starke Lobby hat. wieExtra

Im Rahmen der Vortragsreihe Armut und Gesundheit der Trierer Bezirksärztekammer spricht am 13. November, 19 Uhr, der Trierer Theologie-Professor Bernhard Schneider, zum Thema Armut und Krankheit in der (Kirchen-) Geschichte.


Zur Person:
Georg Cremer, 62, geboren in Aachen, verheiratet, drei Söhne. Er hat Volkswirtschaft und Pädagogik in Freiburg studiert. 1986 war er drei Jahre lang Leiter eines Entwicklungsprojektes in Indonesien. 2000 ist er Generalsekretär des Deutschen Caritasverbandes. wie

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