Angstvoll in eine ungewisse Zukunft geblickt

GILZEM/KORDEL/OBERPIERSCHEID. Kriegsende vor 60 Jahren in der Eifel: Auf dieser Seite berichten erneut TV-Leser als Zeitzeugen.

Im Sommer des Jahres 1944 war mein Heimatort Oberpierscheid voll belegt mit Flüchtlingen aus Orten von der nahen deutsch-luxemburgischen Grenze. Unsere Volksschule mit ihren zwei Klassenräumen in Philippsweiler war zu einem Divisionslazarett umfunktioniert worden. Unsere von den Nazis von Trier nach Philippsweiler wegen ihrer religiösen Einstellung strafversetzte Lehrerin Maria Dietrich hielt den Schulunterricht so gut es ging aufrecht, indem sie zu Fuß nach Philippsweiler und in die Orte Röllersdorf, Luppertsseifen und Oberpierscheid ging, um in den Stuben verschiedener Häuser kleinere Gruppen von Kindern, vom ersten bis zum achten Schuljahr, zu unterrichten. Unterstützt wurde sie zeitweilig durch eine junge Lehrerin, bis diese, nach ihrer Trauung in Schloss Merkeshausen, von Jabos mit ihren Bordwaffen in einem PKW der Wehrmacht tödlich getroffen und auf dem Heldenfriedhof in Oberpierscheid bestattet wurde. Auch Maria Dietrich wurde auf ihrem etwa zwei Kilometer langen Fußmarsch zum Schulunterricht zwischen Philippsweiler und Oberpierscheid von Jabos angegriffen, konnte sich aber mit einem Sprung in einen kleinen Hain vor den Bordwaffen retten. An dieser Stelle ließ sie nach dem Krieg als Dank ein Kreuz errichten. Wir Kinder freuten uns indessen über so wenig Schulunterricht und hatten Interesse gefunden an der Betriebsamkeit der Soldaten, die mit ihren "Sankas" zwischen dem Lazarett und der Front und zwischen dem Lazarett und dem Heldenfriedhof in Oberpierscheid fuhren. Bei den vielen Beerdigungen von Soldaten durch einen Divisionspfarrer wirkten wir Messdiener eifrig mit und fanden Gefallen an den Salutschüssen durch Soldaten. Natürlich beobachteten wir Kinder mit Spannung die Luftkämpfe am spät-sommerlichen Eifelhimmel und eilten gespannt zu einem von deutschen Jägern abgeschossenen amerikanischen Bomber im "Roßbachwald". So ging für uns Kinder die Zeit wie im Zeitraffer schnell vorbei, und Oberpierscheid wurde in der Vorbereitungszeit zur Ardennenoffensive, neben den bereits erwähnten Flüchtlingen, stark von der Wehrmacht belegt, indem alle verfügbaren Wohn- und Scheunengebäude von Soldaten und Fahrzeugen beansprucht wurden.Soldaten suchten in Häusern Schutz

Dann brach plötzlich die Ardennenoffensive los. Ich erinnere mich noch genau an die für mich als damals achteinhalbjährigen Jungen interessante und in der Vielzahl und Vielfalt schier unendliche Fahrzeugkolonne an unserem Haus vorbei in Richtung Front. Wie auf einen Schlag war der Ort leer von Soldaten und Kriegsgerät, wogegen die Beerdigungen von gefallenen Soldaten auf dem Heldenfriedhof stark zunahmen. Schon bald wurde der Ort wieder von Soldaten besetzt, die vor der Kälte Schutz in Häusern und Stallungen suchten. Eines Abends saßen wir dicht auf dicht zusammen, etwa 15 Zivilisten und drei Soldaten. Der im Raum stehende Holzofen spendete reichlich Wärme, und ein lodernder Lichtschein durchflutete die Stube so schwach, dass man sich nur knapp orientieren konnte. Plötzlich ging die Stubentür auf und zwei "Kettenhunde" streckten den Kopf herein und fragten nach Soldaten. Meine couragierte Tante Sis antwortete spontan mit "Nein" und die "Kettenhunde" verschwanden wieder, ohne sich weiter in der Stube umzuschauen. Ihre Brillen waren wohl so stark beschlagen, dass sie in der vollen Stube keine Soldaten gesehen hatten. Im Februar 1945 waren wir, die Kommunionkinder, auf dem Weg zum Kommunionsunterricht in die Pfarrkirche nach Ringhu-scheid. Wir nahmen den Weg über den "Aelik" und kürzten über einen Wiesenpfad den Weg ab, als plötzlich zwei Jabos über Krautscheid kommend auf uns zu flogen, ohne jedoch auf uns Kinder zu schießen. Die Front rückte inzwischen immer näher, die Hektik nahm bei den Soldaten und der Bevölkerung ständig zu. Nachts hörte man ständig Kanonendonner von der nahenden Front, und die Menschen legten sich voll angekleidet zur Ruhe. Am frühen Morgen des 24. Februar 1945 war der Himmel wolkenlos, und es kreiste ein "Aribeobachter" über dem Ort. Gegen 8 Uhr schleppten zwei Soldaten einen toten Kameraden in einer Zeltplane an unserem Haus vorbei in Richtung Friedhof und verschwanden als Letzte ganz schnell den Berg hinab in Richtung Waxweiler. Von unserem Holzplatz neben dem Haus konnten wir die Einnahme von Bellscheid durch amerikanische Panzer beobachten, als unser Vater befahl, den Platz zu räumen und in den gewölbten Keller im Haus zu gehen, denn auch die Amerikaner könnten uns hier sehen. Wir, das waren etwa 15 Frauen und Kinder, eilten schnellstens in den nahen Keller, und schon nach 15 Minuten wurde unser Haus, direkt an dem Hausgiebel, an dem wir vorher gestanden hatten, von einer Panzergranate getroffen. Steine verschütteten teilweise den Eingang zum Keller, und eine Staubwolke drang in den überfüllten Keller. Die Erwachsenen beteten zwischen den weinenden und schreienden Kindern den Rosenkranz. Gegen 9.30 Uhr wurde dann die Kellertür aufgestoßen von amerikanischen Soldaten mit Gewehren im Anschlag, die uns aufforderten, den Keller zu verlassen. Wir stiegen verängstigt die Kellertreppe hinauf und sahen dann den ersten schwarzen Menschen in unserem Leben. Die Amerikaner ordneten an, dass alle Bürger sich im Hause Fischbach einquartieren müssten. Morgens und abends durften jeweils zwei Personen für zwei Stunden in ihre Häuser gehen, um das Vieh zu versorgen. Diese Situation dauerte etwa 14 Tage lang, da die Wehrmacht auf der anderen Seite der Prüm von Lambertsberg aus heftigen Widerstand leistete und einen schnellen Übergang der Amerikaner über das tiefe Prümtal verhinderte. Die Wehrmacht beschoss unseren Ort von Lambertsberg aus mit Granaten und landete einige Volltreffer. Oberpierscheid wurde also am 24. Februar 1945 gegen 9.30 Uhr durch die Amerikaner von der Naziherrschaft befreit. Es gab zwar Schäden an Gebäuden, aber Menschen wurden Gott sei Dank weder verletzt noch getötet. Wir Kinder hatten schnell Freundschaften mit den Amerikanern geschlossen, in deren Folge wir Schokolade und Kaugummi bekamen. Die Menschen konnten zwar aufatmen, mussten aber angstvoll in eine ungewisse Zukunft schauen. German Schmitz lebt heute in Bitburg. Er ist 68 Jahre alt.

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