Der Landrat und die fliegenden Händler

BITBURG. Als die US-Air-Force 1993 ihren Rückzug vom Flugplatz Bitburg ankündigte, da ahnte noch niemand, welche Geschichten und Anekdoten sich nur 14 Jahre später rund um das Konversionsgelände ranken würden. Mit Landrat Roger Graef, Zweckverbandsgeschäftsführer Helmut Berscheid und Norbert Kraff, Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, plaudern nun drei Macher des "Bitburger Modells" aus dem bunten Nähkästchen der Geschichte.

Als Wim van Handelsstraat (Name von der Redaktion geändert) im Mai 1995 im Türrahmen des Vermarktungsbüros auf dem Flugplatz Bitburg erschien, veränderte sich die Lage für die eifrigen Entwickler des doch noch arg brach liegenden Geländes schlagartig.Fiktive Rede im Kasino

"Der Holländer kam ohne Anmeldung und sagte: ,Ich will den Flugplatz kaufen, was muss ich tun?'", erinnern sich Helmut Berscheid und Norbert Kraff und schlagen noch heute bemerkenswert synchron die Hände über dem Kopf zusammen. Schon kurze Zeit später habe Wim van Handelsstraat das komplette Areal begutachtet, sich dabei sogar auf der Bühne des Offizierskasinos in Pose gebracht und eine fiktive Rede anlässlich der Einweihung seines Großunternehmens zum Besten gegeben. Bei besagtem Großunternehmen handelte es sich um einen Orientalischen Basar; ein Ansinnen, das nicht nur heftiges Stirnrunzeln, sondern auch ein Stück weit planerische Leere in den ohnehin rauchenden Köpfen der Bitburger Flugplatzentwickler erzeugte. Jedenfalls bot der niederländische Investor für das gesamte Gelände einschließlich des fliegerischen Teilbereichs satte 30 Millionen Mark. Eine Bankbestätigung lieferte Wim van Handelsstraat gleich mit. Seine Idee: Neben dem Orientalischen Basar sollten diverse Kureinrichtungen entstehen sowie Produktionshallen für die Aufzucht von Heilkräutern. Zudem versprach Wim van Handelsstraat 4600 neue Arbeitsplätze. Kein Wunder also, dass sich ob der Wucht dieser farbenfrohen Offerte etliche Entscheidungsträger zunächst einmal verwundert die Augen rieben. Zu denen gehörte auch Landrat Roger Graef. Eiligst nahm der unmittelbar nach der Visite van Handelsstraats Kontakt zur Oberfinanzdirektion Koblenz auf, wo ihm Präsident Konrad Laube schnell klar machte, dass man es sich eigentlich nicht leisten könne, "so einen einfach ziehen zu lassen". Eile ist geboten

Für Graef, Berscheid & Co. bedeutete dies derweil, die so genannte Kleinteiligkeit der Vermarktung auf Eis zu legen, und dies, obwohl 67 potenzielle Interessenten vor der Tür standen und dringend Einlass begehrten. Da also eine schnelle Entscheidung her musste, trat Roger Graef - nicht feige - die bis dato spektakulärste Dienstreise seines Lebens an. Jedenfalls ließ er sich an einem milden Frühsommermorgen in die Nähe von Amsterdam chauffieren, wo Wim van Handelsstraat einen Basar betrieb, wie er (van Handelsstraat, natürlich) ihn auch in Bitburg geplant hatte.Straßenkünstler und Musikanten

Von Krawatte und Nadelstreifen befreit, mischte sich Graef sodann, ebenso frohgemut wie skeptisch, in das bunte Treiben, in dessen Mittelpunkt rund 2600 fliegende Händler lautstark und mit leidenschaftlichster Gestik ihre Waren feilboten. Man mag es kaum glauben: Zwischen Marktschreiern, Straßenkünstlern und den exotischsten Musikanten schaute sich der Landrat um, roch fremde Düfte, sah schillerndste Farben und ließ sich treiben von den bizarren Klängen orientalischer Lebensweise. "Das muss man mal erlebt haben. Als ich das sah, da war mir klar, um welche Arbeitsplätze es sich handelte", erzählt Roger Graef im Nachgang. Zurück in Bitburg, habe er dann aber mal ganz schnell Konrad Laube angerufen. "Der hat mir dann erzählt, dass er eine Woche zuvor bereits dort gewesen wäre." So sei man sich schnell einig gewesen: "Das Ding müssen wir beenden." Und so kam es denn auch. Schnell wurde eine Konferenz einberufen, in deren Verlauf Wim van Handelsstraat im Sitzungssaal der Bitburger Kreisverwaltung sein Konzept vorstellte. Ohne Erfolg, wie man längst weiß. Statt dessen bot man ihm Alternativ-Standorte - irgendwo in Deutschland - an. Ein Hemdchen für den Landrat

Wo der fliegende Holländer nach all den Jahren abgeblieben ist, weiß niemand. Sicher ist nur, dass Landrat Roger Graef es sich in Amsterdam nicht hat nehmen lassen, auf dem Orientalischen Basar selbst aktiv zu werden, indem er ein Hemd kaufte. Daran, ob er den Preis dafür etwas habe herunterhandeln können, kann er sich indes nicht mehr erinnern. . . Im zweiten Teil unserer Serie lesen Sie, wie die Bitburger Flugplatzentwickler im Bundeskanzleramt vorstellig wurden, um Geld für die Erschließung locker zu machen.

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