Der Täter und seine Strategien

DAUN/BITBURG-PRÜM. Sexueller Missbrauch an Kindern: Oft erst nach Jahre langem Vorgehen mit vielen Opfern kommen die Delikte ans Tageslicht. Die Fallzahlen steigen. Auch beim Kinderschutzdienst (KSD) in den Kreisen Daun und Bitburg-Prüm. In einem TV -Interview äußert sich KSD-Mitarbeiterin und Diplom-Sozialpädagogin Karin Knötgen zu den meist gestellt Fragen.

 Für Kindesmissbrauch gibt es keine eindeutigen Symptome. Experten empfehlen, Kinder offen zu erziehen, um Katastrophen zu vermeiden.Foto: TV -Archiv Friedemann Vetter

Für Kindesmissbrauch gibt es keine eindeutigen Symptome. Experten empfehlen, Kinder offen zu erziehen, um Katastrophen zu vermeiden.Foto: TV -Archiv Friedemann Vetter

Frau Knötgen, warum halten die Kinder, die Opfer, so lange den Mund?Knötgen: Weil der Täter die Kinder ins Missbrauchsgeschehen verstrickt. Er setzt ganz gezielte Strategien ein, damit die Kinder nicht darüber reden.

Wie kann man sich das vorstellen?

Knötgen: Das heißt: in vielen kleinen Schritten werden die Kinder langsam an sexuelle Handlungen gewöhnt. Das können zufälligen Berührungen, anzügliche Witze oder Fotos sein. Das wird zwar meist von den Kindern als ein "bisschen komisch" empfunden, aber sie wollen den Kontakt nicht verlieren und machen deshalb mit.

Also stellt sich der Missbrauch ganz schleichend ein?

Knötgen: Aus Erfahrung weiß ich, dass dem missbrauchten Kind oft vorher eine besondere Position zugeordnet oder es als besonders lieb herausgestellt wurde. Manchmal beginnt die gezielte Strategie auch mit einem Geheimnis, wie dem Rauchen der ersten Zigarette oder dem Trinken einer Flasche Bier, verbunden mit der Aussage "du bist ja schon fast groß und das hier ist unser Geheimnis". Und dann hält das Kind dicht.

Zwischen Rauchen und sexuellem Missbrauch besteht aber doch noch ein großer Unterschied?

Knötgen: Klar, aber es geht dem Täter darum zu prüfen, ob das Kind Geheimnisse wahren kann. Kinder, die reden, fallen durchs Strategieraster des Täters und Eltern haben dann ja auch nichts in der Hand, werden abgewimmelt mit "war doch nur eine Zigarette". Ganz wichtig ist also, den Kindern zu vermitteln: "Ihr dürft Geheimnisse verraten."

Also gehören selbstbewusste Kinder eher nicht zu den Opfern?

Knötgen: Ja, denn der Täter manipuliert ganz bewusst die Gefühle und Wahrnehmungen der Kinder. Wahrscheinlich sagt er immer wieder "ist doch schön, was wir hier machen". Die Kinder spüren zwar, dass was nicht stimmt und fangen dann an, ihren eigenen Gefühlen nicht mehr zu vertrauen.

Und dann sitzt es in der Falle. Kann es da noch rauskommen?

Knötgen : Schwer, denn es wird immer verstrickter mit der Sache, fühlt sich schuldig und schmutzig, schämt sich und hat Angst, entdeckt zu werden. Oft droht der Täter auch. Derart, dass es dann ins Heim müsse oder die Oma sterben werde. Das macht es dem Kind fast unmöglich, zu reden.

Aber warum merken die Eltern dem Kind keine Veränderungen an?

Knötgen: Sexueller Missbrauch ist ein schleichender Prozess. Dafür gibt es keine eindeutigen Symptome. Meist versuchen die Täter sich das Vertrauen der Eltern zu erschleichen, verkaufen sich als gute Menschen und zeigen sich äußerst kinderlieb. Manche suchen sich auch immer wieder Partnerinnen mit Kindern und vernebeln dann die Wahrnehmungen der Mutter. Außerdem entsprechen sie fast nie dem Täterbild, was viele fälschlicherweise im Kopf haben.

Wenn die Opfer aus allen sozialen Schichten kommen, kommen sie dann aus zerrütteten Familien?

Knötgen: Nein, man kann nicht sagen, dass sie grundsätzlich aus so genannten schlechten Familien, von schlechten Eltern, kommen. Es gibt allerdings einige Risikofaktoren wie Vernachlässigung, autoritäre Erziehung oder mangelnde Sexualerziehung, die die Täter immer wieder geschickt für ihre Strategien ausnutzen.

Erleiden die missbrauchten Kinder einen lebenslangen Schaden?

Knötgen: Das Bild "Missbrauch, dann Therapie und trotzdem lebenslanger Schaden" stimmt nicht. Das Kind muss in seiner Gesamtheit gesehen werden. Jeder geht anders damit um und das Problem muss individuell gelöst werden. Man geht davon aus, dass fast jedes dritte Mädchen und jeder zwölfte Junge zwischen sechs und zehn Jahren sexuell missbraucht wird. Und nicht alle leiden noch im Erwachsenenalter unter diesen Erlebnissen.

Gibt es in der Bundesstatistik einen Stadt/Land-Unterschied?

Knötgen: Nein, weder bei den Fallzahlen noch bei den Täterstrategien.

Die Fragen stellte Gabi Vogelsberg.

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