Die Höhle als Zuhause

GEROLSTEIN/ALSDORF. (red) Zeitzeugen des Kriegsendes vor 60 Jahren: Leser Heinrich Ewen berichtet aus Alsdorf, und Leserin Hedi Weber (unten) aus Gerolstein. Es ist die Fortsetzung ihres Zeitzeugenberichts vom 31. Dezember 2004 zur Kriegsweihnacht in Gerolstein.

Am Heiligabend 1944 wurde unser Bunker, der uns bis dahin Schutz gewährte, durch einen Treffer am Notausgang zerstört. Da aber die Bombardierung weiterging, mussten wir uns einen anderen Schutzraum suchen. Die Keller der Häuser waren nicht sicher genug. Also entschied meine Mutter: Wir gehen ins Buchenloch! Das ist eine Tropfsteinhöhle in der Munterley von Gerolstein. Es lag hoher Schnee. Wir haben den Schlitten aus dem Keller geholt; meine Mutter hat einen Korbsessel darauf gebunden, und meine Oma, die den Weg nicht mehr laufen konnte, da sie durch einen Schlaganfall halbseitig gelähmt war, kam darauf zu sitzen.Mit 40 Menschen im Buchenholz

Wir Kinder waren uns des Ernstes der Lage bewusst. Gemeinsam zogen wir die Oma den Berg hinauf. Meine Mutter ging hinter dem Schlitten und passte auf, dass das Gefährt nicht umkippte. Ziemlich erschöpft kamen wir am Buchenholz an. Dorthin waren bereits 40 Personen geflüchtet. Bereitwillig hat man uns aufgenommen und uns einen Platz angewiesen. Meine Oma blieb in ihrem Korbsessel. Ihre Beine wurden auf einen Felsbrocken hoch gelagert, und so blieb sie Tag und Nacht sitzen. Meine Mutter ging in der Dunkelheit noch einmal ins Haus zurück, um Decken und warme Kleidungsstücke zu holen. Das alles hat sie auf den Schlitten geladen, festgebunden und den Berg hinauf zur Höhle gebracht. Hier haben wir dann zwei Monate ausgeharrt. Zwei Öfen wärmten den Unterstand, außerdem hatte man den Eingang mit einem Bretterverschlag notdürftig gegen die eisige Kälte abgedichtet. Auf den Öfen standen große Einkoch-Kessel, in denen der Schnee geschmolzen und das Wasser abgekocht zum Gebrauch nutzbar gemacht wurde. Jeden Morgen vor Sonnenaufgang gingen die Mütter in den Ort, um Brot, Milch und andere Nahrungsmittel zu organisieren. Es wurde gemeinsam gekocht und gegessen. Da wir alle immer hungrig waren, hat auch alles geschmeckt. Auf Strohlagern haben wir geschlafen und manchmal hörte man in der Nacht: "Mama mir tropft es auf die Nase!" Unsere Toilette war ein zusammengezimmerter Unterstand in der Nähe des Buchenlochs. Wir fühlten uns sicher in unserer Tropfsteinhöhle. Die Tage vergingen, der Schnee schmolz, und wir konnten Wasser an einer Quelle schöpfen. An einem Tag im März kamen die Frauen aufgeregt aus dem Flecken den Bergpfad hinaufgerannt und riefen: "Der Krieg ist aus!" Sie trauten sich nicht bis an den Bäckerladen heran, und so hatten wir an diesem Tag kein Brot. Trotzdem verhielten wir uns weiterhin ruhig in der Felsenhöhle. Aus einem Bettlaken und Stangen haben einige Frauen zwei Fahnen gefertigt für den Tag, an dem wir uns unseren Feinden ergeben wollten. Am 6. März 1945 zogen die amerikanischen Soldaten durch den Wald der Munterley und fanden uns im Buchenloch. Wir hissten unsere weißen Fahnen und liefen auch gleich unseren Befreiern entgegen. Einige Leute konnten Englisch, so dass auch die Verständigung stimmte. Wir Kinder hatten noch eine verständliche Angst, aber die Amerikaner waren so nett zu uns, dass wir bald zutraulich wurden. Aus den großen Taschen ihrer Uniform zauberten sie sogar gute Sachen wie Schokolade und Kaugummi für uns hervor. Das war ein verspätetes Weihnachtsfest. Die Feuer im Buchenloch wurden gelöscht, und wir zogen zurück in unser Heimatstädtchen. Die Amerikaner trugen die Kleinen huckepack, und für unsere Oma wurde sogar eine Trage hergerichtet. In einer Sammelstelle in der Sarresdorferstraße kamen wir unter, wurden registriert und am nächsten Tag konnten wir nach Hause gehen. Unser Haus war stehen geblieben, und so hat meine Mutter drei Familien mitgenommen, die keine Bleibe mehr hatten. Darunter war auch eine hochschwangere Frau, die ihren Sohn drei Tage später in unserem Haus zur Welt gebracht hat. Hedi Weber, geborene Becker, ist Jahrgang 1935. Sie stammt aus Gerolstein, Sarresdorferstraße, und lebt heute in Bitburg.

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