Die Tragik eines Schusses

HARSPELT. Tragisch ist sie – die Geschichte vom Tod eines SS-Unterführers in Harspelt vor 61 Jahren: Sein Schuss in ein Marienbild in der "Reusch-Kapelle" löschte sein eigenes Leben aus.

Auf einer kleinen Anhöhe auf dem Weg nach Ouren steht die so genannte Reusch-Kapelle. Sie wurde im Jahre 1920 von Nikolaus Reusch erbaut, um zu erbitten, nicht in einen Krieg eingezogen zu werden. Im Inneren ziert sie das Bild einer byzantinischen Ikone, das Maria, das Jesuskind und die Aufschrift "O Maria hilf" trägt. Bis heute pflegen die sechs Reusch-Geschwister das Kapellchen, vor zwei Jahren erst wurde es vollständig saniert. Seit 61 Jahren ist das Marien-Bildnis beschädigt: Es weist ein Einschussloch auf und darüber die Spur eines Querschlägers. Die Einschussstelle mit nach hinten gebogenen Rändern zeigt deutlich, dass die Kugel das Bildnis zerschlug, an der Kapellenrückwand abprallte und die Ikone nochmals durchlöcherte. Denn hier sind sichtbar die Ränder nach vorne gewölbt, regelrecht aufgeplatzt. Es müssen dramatische Szenen gewesen sein, die sich während der Ardennenoffensive im Januar 1945 in dem kleinen Grenzdorf Harspelt abgespielt haben. "Es war ein deutscher Soldat, der gegen das Marienbildnis feuerte", sagt Herbert Heinz aus Großkampenberg, Bruno Reusch aus Harspelt weiß von einem bis heute unbekannten Mann, "der von außen in die Kapelle schoss". Der Leichnam des Soldaten habe jedenfalls vor der Tür gelegen, "er wurde gerichtet für seine Tat", sagt Reusch. Über die Person und seine Motive ist nichts bekannt, jedoch sagt Herbert Heinz, "dass sie einen ausgeprägten Hass gegen Religion und Kirche gehabt haben muss". Aber vielleicht führten auch andere Beweggründe den jungen Soldaten zu dieser Verzweiflungstat. So versichern glaubwürdige Zeugen, dass sich der Schütze im Winter 1945 nach der gescheiterten Ardennenoffensive auf dem Rückzug befand. Vielleicht war es Enttäuschung, vielleicht aber auch ein Kurzschluss des jungen Soldaten. Albert Ademes aus Arzfeld ist tief bewegt, wenn er die kleine Kapelle betritt. "Ich bin ein Marienverehrer und empfinde hier etwas ganz Besonderes", sagt der 71-jährige Rentner. "Bei einer Wanderung stieß ich auf diese Kapelle, der Ort faszinierte mich, und ich fragte sofort nach den Löchern im Bild". Heinz Nick aus Arzfeld half ihm bei den Nachforschungen, auch las er Aufzeichnungen zu diesem Thema. "Das alles zeigt doch die Grausamkeit des Krieges", sagt Alfred Ademes, dem es fast die Stimme verschlägt. Der gläubige Christ, der bereits 50 Jahre im Arzfelder Kirchenchor singt, hat für die Nachwelt nur einen Wunsch: Nie wieder Krieg! Das Reusch-Kapellchen in Harspelt verkündet die gleiche Botschaft.

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