Eifeler halten Erinnerungen an jüdische Schicksale wach

Bitburg · Nicht nur Bitburg hatte eine jüdische Gemeinde. Daran möchte der Arbeitskreis Gedenken erinnern und arbeitet deshalb jetzt mit Heimatforschern aus fünf Gemeinden in der Südeifel zusammen. Ein Abend voller Geschichten bildete den Auftakt.

 Ein Gedenkstein erinnert an die ehemaligen jüdischen Mitbürger in Malberg und Kyllburg

Ein Gedenkstein erinnert an die ehemaligen jüdischen Mitbürger in Malberg und Kyllburg

Foto: Privat

Es sind die persönlichen Geschichten, die diesen Abend zu etwas Besonderem machen. Und es sind die persönlichen Erinnerungen, die den Zuschauern das jüdische Leben in der Südeifel fast zum Greifen nahe bringen. "Frau Heinz hatte einen Stammplatz im Keller", erzählt zum Beispiel Werner Streit aus Speicher über die Frau, die sich fünf Jahre lang versteckte und so dem Holocaust entgehen konnte . Streit ist einer von fünf Heimatforschern, die auf Einladung des Arbeitskreises Gedenken von den jüdischen Gemeinden in ihren Orten berichten. "Wir wollen würdigen, dass auch in den Ortschaften schon so viel in Bezug auf das Gedenken passiert ist, teilweise mehr als in Bitburg selbst", sagt Werner Pies, Mitglied des Arbeitskreises.
Hinter den Geschichten, die sie vortragen, stecken aber nicht nur persönliche Erinnerungen an die jüdischen Mitbürger, sondern auch teils jahrzehntelange Recherchen. So präsentieren sie ihren Zuhörern aus fünf Orten in der Südeifel jeweils ein Panorama jüdischen Lebens. Manchmal sind es heitere Anekdoten, manchmal tragische Geschichten von Verfolgung und Tod.

Speicher: In der Verbandsgemeinde Speicher lebten bis 1936 acht jüdische Familien, erzählt Streit. "Ich habe sie alle gekannt", sagt er. Die Kinder haben zusammen gespielt, die Nachbarn sich gegenseitig ausgeholfen. Eine Synagoge hatte die Gemeinde nicht, dafür aber einen Gebetsraum im Hause der Familie Salomon. Simon Salomon ist übrigens der wohl berühmteste Speicherer Jude. Er ging am Anfang des 20. Jahrhunderts nach Berlin und gründete dort mehrerere Verlage. Er starb 1942 im Konzentrationslager. Nach ihm ist seit 2006 die Realschule in Speicher benannt. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten verließen nach und nach alle jüdischen Familien Speicher und wanderten aus. Am 14. Februar 1939 habe der damalige Bürgermeister gemeldet: "Speicher ist judenfrei." Diese Angabe war nicht ganz korrekt, denn noch immer lebte Elise Heinz hier, war aber nicht im Melderegister verzeichnet. Die folgenden Jahren verbrachte sie mitten unter den Dörflern, half in der Landwirtschaft aus und wurde versteckt, wann immer die Gestapo zur Kontrolle anrückte. "Niemand dachte daran, sie zu verraten", erzählt Streit.

Irrel: Der 85-jährige Peter Wagner verbindet viele Kindheitserinnerungen mit den jüdischen Mitbürgern in Irrel. "Immer wenn der Pastor kam, dann haben wir die jüdischen Kinder beneidet", erzählt er. <EA>Denn während des Religionsunterrichtes hatten diese frei. Vor dem Krieg, so sagt er, habe es eine gute Gemeinschaft im Dorf gegeben. Dazu trug sicher auch das Gasthaus der jüdischen Familie Kallmann bei. Das Gasthaus war ein Treffpunkt im Dorf und fortschrittlich dazu: "Es war das erste Haus, das ein Grammophon hatte." Auch religiöse Unterschiede trübten das Verhältnis offenbar nicht. Zum Besuch des Bischofs in Irrel habe der Gastwirt ein großes Spruchband an seiner Hauswand aufgehängt, Wagner erinnert sich gut was darauf stand: "Bin ich auch ein Israelit, so ehr ich euren Bischof doch mit." Wagner spricht von einem problemlosen Umgang miteinander. Bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten, als es für die jüdischen Familien zunehmend gefährlich wurde. Familie Kallmann, erzählt Wagner, ging kurz nach der Reichspogromnacht 1938 nach Trier, um Schutz bei dort lebenden Verwandten zu suchen. 1942 wurde die Familie in Auschwitz ermordet. "Von den Irreler Familien haben nicht viele überlebt", sagt Wagner. Heute erinnern die Überreste eines Friedhofes in der Talstraße an die jüdische Gemeinde. Er wurde am Ende des Krieges durch Sprengungen zerstört und später wieder aufgebaut. Allerdings deutlich kleiner als ursprünglich. Nur wenige Grabsteine stehen heute noch.

Bollendorf: Die größte jüdische Gemeinde hatte Bollendorf. Von ihr erzählt Karl Wilhelm Gellissen. 69 Juden lebten im Juni 1933 hier. 1900 waren es 110 Menschen in 18 Familien. "Die Juden stellten fast zehn Prozent der Einwohner." Die Gemeinde hatte eine Synagoge und einen Friedhof. "Im Allgemeinen waren sie wohl gelitten", sagt der Heimatforscher Gellissen. Wie in vielen anderen Orten auch, änderte sich aber ihre Situation ab dem Jahr 1933. Hänseleien und Misshandlungen nahmen stetig zu, auch Bürger sollen mitgemacht haben. "Die Nicht-Beteiligung der Bollendorfer Bürger ist unglaubwürdig", sagt Gellissen. Dies zeigten insbesondere die Erinnerungen von Betti Goldschmidt, die als Kind mit ihrer Familie in Bollendorf gelebt hatte. Schon in der Schule seien sie und ihr Bruder Anfeindungen ausgesetzt gewesen. 1937 starb der zehnjährige Bruder, nachdem ein Grenzsoldat ihn misshandelt hatte. Während seiner Beerdigung habe es eine Demonstration gegen Juden gegeben. Bollendorf bemüht sich derzeit besonders um die Aufarbeitung seiner jüdischen Geschichte. Im Juni wird der Künstler Gunter Demnig 18 Stolpersteine verlegen, jeweils vor dem letzten Wohnort jüdischer Mitbürger. "Geplant hatten wir eigentlich 23 Steine. Aber zwei Hauseigentümer haben ihr Einverständnis nicht gegeben", erzählt Gellissen.

Kyllburg: Einen besonderen Blick auf die jüdische Geschichte Kyllburgs hat der Prälat im Ruhestand Friedrich Kreutz. Er ist in Kyllburg aufgewachsen und lebt heute wieder dort. Das Miteinander der Religionen haben vor der Herrschaft der Nationalsozialisten gut funktioniert, glaubt er. Ein Jude habe damals in Kyllburg ein Geschäft geführt: "Dort haben viele Kyllburger ihre Festtagskleidung gekauft, etwa den Kommunionsanzug", erzählt Kreutz. 1911 habe es außerdem eine Meldung in der Frankfurter Zeitung gegeben, wonach ein katholischer Bürger sein gesamtes Vermögen der jüdischen Gemeinde hinterlassen hatte - damit diese endlich eine Synagoge bauen könne. Und so entstand der achteckige Bau zwischen zwei Kirchen, unterhalb der Mariensäule. Bei seinen Recherchen fand Kreutz auch ein Glückwunschschreiben des Pfarrers, das dieser zur Weihung der Synagoge 1912 verschickt hatte. Aber schon 1938, in der Reichspogromnacht, wurde die Synagoge zerstört. Noch in der Nacht habe es zusätzlich eine Spottprozession gegeben, erzählt Kreutz. Viele Kyllburger Juden flohen vor dem Terror der Nationalsozialisten. Einige von ihnen seien aber nach dem Krieg noch einmal zu Besuch in der alten Heimat gewesen und hätten erzählt, wie sie das "Dritte Reich" erlebt haben. "Sie konnten nicht verstehen, warum sie in Deutschland auf einmal nicht mehr gewollt waren."

Malberg: Hubert Weinand hatte einen ganz besonderen Anlass für seine Recherchen. Er wollte die Geschichte seines Lebens aufschreiben, um sie für seine Kinder und Enkelkinder zu erhalten. Vor allem für die Zeit seiner Kindheit spielt die jüdische Gemeinde Malbergs eine besondere Rolle in seinen Erinnerungen. Weinand war 1938 neun Jahre alt. "Es war eine relativ junge Gemeinde", erzählt er. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatten sich einige Juden in Malberg niedergelassen, die meisten von ihnen waren Händler. Um 1900 herum errichteten sie einen eigenen Friedhof. 15 bis 20 Grabstätten gab es darauf. Am achten November 1938 wurde er zerstört, ebenso wie zwei Häuser im Ort, in denen Juden gewohnt hatten. Im Herbst 1944 fürchteten die Malberger den Einmarsch der vorrückenden Amerikaner und was sie täten, wenn sie den zerstörten jüdischen Friedhof sähen. "Das würde sicher keinen guten Eindruck machen", beschreibt Weinand die Sorge der Malberger. Also kamen neun Männer zusammen und reparierten zumindest das Nötigste. Zwei Tage später wurden acht der Männer von der Gestapo dafür verhaftet. Erst nach drei Wochen wurden sie aus dem Konzentrationslager Hinzert entlassen. Heute stehen noch sechs kleine Grabsteine auf dem Friedhof. 1958 ließ die Gemeinde außerdem einen Gedenkstein für die jüdischen Mitbürger aus Kyllburg und Malberg aufstellen.

Der Abend soll nach dem Willen seiner Veranstalter nur der Anfang einer gemeinsamen Zusammenarbeit sein. Aber die Geschichte der Juden gegen das Vergessen festzuhalten, ist nicht das einzige Ziel des Arbeitskreises Gedenken und der Heimatforscher in der Region. "Das eigentliche Ziel heißt: Nie wieder!", sagt Thomas Barkhausen, Sprecher des Arbeitskreises Gedenken. Die Vergangenheit als Appell an Menschlichkeit und Toleranz auch in den schwierigen Zeiten der Gegenwart.

Die luxemburgische Organisation Memo Shoa lädt am Sonntag, 8. Mai, zu einem Gedenkkonzert im luxemburgischen Fünfbrunnen ein. Von dem ehemaligen Kloster aus wurden 40 Juden aus dem Kreis deportiert. Das Konzert beginnt um 16 Uhr.

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