Eine Schule für alle?

Speicher · Der Countdown läuft: Nur noch ein Jahr bis zur Schließung der Speicherer Realschule. Wenn es nach der Verwaltung geht, soll auf dem Gelände ein Privatgymnasium entstehen. Eine Studie ergibt: Machbar wäre das.

Ein junger Mann sitzt am Klavier - die Augen geschlossen, die Finger fliegen über die Tasten. Sie spielen eine Melodie in Moll. Irgendwie passt sie zum Anlass des Konzertes: "Abschluss 2017" steht auf einem Plakat auf der Bühne, Luftballons kleben am Papier. Im Vorraum liegen Schnittchen. Mädchen in Ballkleidern sitzen auf den Stühlen. Die Männer, auch der siebzehnjährige Pianist Valodya Chakhoyan, tragen Hemd und Anzug.

Die Schüler haben sich schick gemacht, für ihre Abschlussfeier. Doch nach Feiern scheint es niemandem in der Aula der Otto-Hahn-Realschule Speicher zumute zu sein. Vielleicht weil alle wissen, dass es hier bald keine Schule mehr geben wird. Zwei Klassen werden verabschiedet. Es bleibt noch eine. Im Sommer 2018 wird auch dieser Jahrgang seinen Abschluss machen. Danach ist Schluss: Die Außenstelle der Bitburger Otto-Hahn-Realschule muss zumachen. So hat es die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) 2013 beschlossen.

Doch damit will sich die Verbandsgemeinde (VG) Speicher nicht abfinden. Seit Jahren schon kämpfen Politiker aller Fraktionen dafür, in der Stadt wieder eine weiterführende Schule anzusiedeln. Denn mit dem Wegfall der Realschule werde der Ort und die Region unattraktiver für Ärzte, Geschäftsleute und junge Familien. Da sind sich alle einig. Nur, was für eine Schule es werden soll - da gibt es unterschiedliche Meinungen.

Die Verwaltung plant in Speicher ein genossenschaftliches Gymnasium aufzubauen (der TV berichtete). Vorbild ist der sogenannte Oranien-Campus in Altendiez (Siehe Info). Der VG-Rat hatte Jens Feld, den Leiter ebendieser Schule, für rund 12?000 Euro beauftragt eine Machbarkeitsstudie anzufertigen. Die Frage, die dieses Gutachten beantworten soll: Ist das Modell aus Altendiez auf Speicher übertragbar? Nun hat Feld die Studie im Rat vorgestellt.

Die Ergebnisse der Studie: "Die Schule ist machbar" - es ist der letzte Satz in Felds Bildschirm-Präsentation. Er fasst zusammen, was der Leiter des Oranien-Campus den Ratsmitgliedern zuvor im Detail erzählt hat. In Kürze: In Speicher gebe es genug Platz, in der Region genug Schüler und in den Taschen der Eltern genug Geld für das genossenschaftliche Gymnasium. Zudem sei das Schulgebäude in gutem Zustand. Es müsse lediglich erweitert werden. Die Kosten dafür lägen irgendwo zwischen dreieinhalb und sieben Millionen Euro.

Das sagt die Opposition: Kritische Stimmen kommen vor allem aus der SPD-Fraktion. So glaubt Sozialdemokrat Raimund Biewer etwa, dass sich viele Eltern in der VG das Schulgeld von ungefähr 190 Euro im Monat für das Privatgymnasium nicht leisten könnten: "Das ist keine Schule für alle." Der Politiker Werner Pick bezweifelt sogar, dass sich überhaupt genug Schüler für den Campus finden ließen. Kinder aus Zemmer, Kordel und dem Trierer Land gingen eher nach Schweich, die Binsfelder nach Salmtal und die Bitburger blieben in Bitburg. Den Zahlen von Feld misstraut er offenbar: "Eine Umfrage unter den Eltern hätte mir geholfen."

Ferner kritisiert der Genosse das Modell der Genossenschaft, das die VG zum Teilhaber an der Schule machen würde. Somit entstünden ihr und den Ortsgemeinden zu hohe Kosten. "Zusätzliche Belastungen können wir nicht schultern", sagt er. Dem schließt sich auch Oswald Krummeich an. Der SPDler fügt noch hinzu, er werde niemals dafür stimmen, dass Steuergeld für eine private Schule, also ein Unternehmen, ausgegeben werde.

Das sagen die Befürworter: CDU-Politiker Peter Schilling räumt ein, dass er die Bedenken der SPD-Kollegen verstehen könne: "Es würde mir im Herzen wehtun, wenn ein Kind nur wegen dem Geld nicht auf die Schule kann." Die Lösung für ihn: Stipendien für diejenigen, die es sich nicht leisten können. Fraktionsvorsitzende Karin Plein pflichtet ihm bei: "Das Ziel muss sein, dass jedes Kind, das dazu in der Lage ist, die Schule besuchen kann."

Für Bürgermeister Manfred Rodens steht auch deshalb fest: "Das Gymnasium wird keine Elitenschule." Denjenigen, die Angst haben, die Schule werde zu teuer, sagt er: Die Verantwortlichen müssten jetzt langfristig denken. Das Geld käme ja wieder rein, wenn die Schule laufe. Im Moment müsse der Rat "alles dafür tun ein Ausbluten der Gemeinde zu verhindern." Er spricht sich deshalb dafür aus dem Beschlussvorschlag der CDU-Fraktion zuzustimmen. Der fordert vom Ratsmitgliedern eine Zusage an den Campus ein. Die SPD verweigert sich diesem Antrag. Am Ende wird er trotzdem beschlossen - mit 13 Für- und 8 Gegenstimmen.

Und so geht es jetzt weiter: "Die Projektgruppe zur Fortentwicklung des Realschulkomplexes" wertet die Machbarkeitsstudie aus und erstellt ein Konzept für die neue Schule. Danach wird darüber im Verbandsgemeinderat abgestimmt.

Hintergrund: DER CAMPUS
Der Oranien-Campus in Altendiez ist laut Homepage "eine kleine persönliche Schule" mit gerade einmal zwei Klassen. Die werden ganztägig unterrichtet und sollen in acht Jahren das Abitur machen.
Wichtig ist den Betreibern der Schule offenbar eines: Engagement. Die Lehrer seien engagiert, ebenso müssten es aber auch Eltern und Schüler, pardon: "Lerner", sein. Der Begriff Schüler benenne Kinder ja nach dem Gebäude, nicht nach ihren Leistungen.
Desweiteren wirbt der Oranien-Campus mit der modernen Ausstattung der Klassenräume und damit, dass es dort keinen Unterichtsausfall gebe.

Meinung: Nicht, um jeden Preis

Es ist wenig überraschend, dass Jens Feld eine Privatschule in Speicher für machbar hält. Schließlich glaubt er an sein Konzept, will sie betreiben und damit Geld verdienen. Es mag auch sein, dass seine Schule in Altendiez eine gute ist. Eine Übertragung auf Speicher darf man dennoch skeptisch sehen:

Zum einen wäre da die Schülerzahl. Es gibt im Umland zwar viele Kinder, aber würden die auch Schüler einer Privatschule werden? Etablierte Schulen in Salmtal, Schweich und Bitburg dürften vielen Eltern attraktiver vorkommen. Ja, das könnte sich ändern. Aber was, wenn nicht? Stellt euch vor, es ist Schule und keiner geht hin. Dann bleibt die VG auf den Kosten sitzen.

Hinzukommt: Nicht alle werden es sich leisten können, ihr Kind auf diesen Campus zu schicken. Und, dass alle anderen ein Stipendium bekommen, ist unwahrscheinlich. Diese Schule würde also wirklich keine Schule für alle. Das Projekt mit Steuergeldern, zumindest teilweise zu finanzieren, ist daher fragwürdig.

Sie sind anderer Meinung? Dann schreiben Sie mir doch unter E-Mail: c.altmayer@volksfreund.de

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