Extremes Spiel mit Gas und Bremse

Möglichst spektakulär und trotzdem kontrolliert mit dem Auto um die Kurve rutschen (driften): Darum geht es bei der Internationalen Drift-Challenge. TV-Redakteur Marcus Hormes hat als Beifahrer erlebt, wie die Teilnehmer die Grenzen der Physik ausreizen und die Zuschauer begeistern.

Nürburg/Prüm. Der Renntag auf dem Nürburgring beginnt früh. Schon in den Morgenstunden stoße ich im Fahrerlager der Internationalen Drift-Challenge (IDC) auf rege Betriebsamkeit. Die Teilnehmer bereiten ihre getunten Fahrzeuge ohne Straßenzulassung auf die technische Abnahme für den Wettbewerb vor. Das Hauptaugenmerk der Prüfer liegt auf der Sicherheit, vom Überroll-Käfig bis zum Feuerlöscher. "Ich mag das, was anderen Angst macht"

Es könnte auch für mich verdammt heiß werden, denn ich darf an diesem Tag in einem der Rennwagen mitfahren. Rallye-Pilot Roman Bielan aus Neidenbach bei Bitburg hat den Kontakt zu Yves Faber hergestellt. Der 32-Jährige Autoverkäufer aus Bettendorf in Luxemburg nimmt mit dem Team "Wengler Racing" seit zwei Jahren an der IDC teil. Schon seit 1999 messen sich dabei die besten Drifter Deutschlands und mittlerweile Europas. Auf dem Nürburgring steht der zweite Lauf zur Meisterschaft 2008 bevor."Den Wagen ins Rutschen zu bringen und über die physikalischen Grenzen zu gehen: Ich mag das, was anderen Angst macht", beschreibt Yves den Reiz seines ausgefallenen Hobbys.Bei der Besprechung der Fahrer, dem sogenannten Briefing, mahnt der Rennleiter zur Disziplin: Nur auf der Rennstrecke selbst darf gedriftet werden. Er spricht auf Deutsch und Englisch - die Zuhörer kommen unter anderem aus den Niederlanden, Großbritannien und Polen.Kurz nach 11 Uhr bricht der Konvoi der Fahrzeuge Richtung Nordschleife auf. Ich muss mich noch gedulden, denn Yves fährt diese Strecke zum ersten Mal und entscheidet kurzfristig, aus Sicherheitsgründen ohne mich zu driften. Die Runde soll ohnehin nur ein Vorschmack für die Zuschauer sein, um für die Drift-Challenge am Abend zu werben.Szenenwechsel ins Fahrsicherheitszentrum I des Nürburgrings. Gegen 14 Uhr erklärt der Rennleiter anhand einer Zeichnung den Verlauf der Qualifikations-Strecke. Es wird ernst: Mit Rennanzug, Spezialschuhen, feuerfester Sturmhaube und Helm wappne ich mich gegen einen möglichen Unfall. In voller Montur klettere ich auf den engen Beifahrersitz des Ford Mustang und schnalle mich mit dem Hosenträgergurt an. 250 PS, fünf Liter Hubraum, Baujahr 1988. Innenverkleidung? Fehlanzeige. Statt Ablagen aus schwarzem Plastik sehe ich nur nacktes weißes Blech und Stahlrohre zur Stabilisierung. Viele bunte Kabelstränge hängen im spartanisch ausgestatteten Cockpit.Hin und her wie auf der Kirmes

Yves fährt langsam in Richtung Start, ich filme. Plötzlich gibt er mächtig Gas. Ich schaffe es gerade noch, die wertvolle Kamera in die gepolsterte Tasche zu stecken, als wir mit dem Fahrzeug nach rechts herumgeschleudert werden. Ich verliere kurzfristig die Orientierung, denn sofort schleudert der Wagen nach links und dann wieder nach rechts. Wo ist oben, wo unten? Wie bekommen wir das Auto wieder unter Kontrolle?Doch Yves hat jederzeit alles im Griff. Obwohl er den Kurs vorher nur auf der Zeichnung gesehen hatte, hat er voll auf die erste Kurve zugehalten, mit einer hydraulischen Handbremse das Heck zum Ausbrechen gebracht und gleichzeitig stark gegengesteuert. So rutscht das Auto spektakulär über die Fahrbahn. Geil!Der Mini-Kurs verlangt eine Rechts-links-rechts-Kombination, bei der die Fahrzeuge möglichst nahe an Markierungen vorbei driften sollen. Schon nach kurzer Zeit ist der Asphalt mit frischen Bremsspuren übersät. Es riecht nach verbranntem Gummi der Reifen. Bei ihrem extremen Spiel mit Gas und Bremse müssen die Fahrer erhebliche Fliehkräfte aushalten.In der zweiten Trainingsrunde riskiert Yves noch mehr und leistet sich einen Dreher - Karussell fahren ist Kinderkram dagegen. In der dritten Runde gelingen dem Luxemburger wieder saubere Drifts, ebenso bei den drei Wertungsrunden.Die Jury vergibt Punkte nach vier Kriterien: Geschwindigkeit, Driftwinkel, Linie und Stil. Unter 26 Teilnehmern belegt Yves einen starken zehnten Platz und qualifiziert sich damit für das sogenannte Twin-Battle am Abend. Vor Tausenden von Zuschauern an der Haupt-Rennstrecke treten die besten 16 Fahrer im K.o.-System gegeneinander an. Jeweils zwei Piloten driften hintereinander durch eine lang gezogene Kurve und können sich sogar überholen. Manch gewagtes Manöver endet mit einem Dreher oder einem Ausflug ins Kiesbett.Auf der Tribüne drücke ich Yves Faber die Daumen. Erst im Viertelfinale scheidet er aus. Im hochklassigen Finale triumphiert schließlich Remmo Niezen aus den Niederlanden im BMW vor seinem Landsmann und Markengefährten Paul Vlasblom.Für mich geht unversehrt ein aufregendes Abenteuer zu Ende. Bei der Heimfahrt nach Prüm widerstehe ich der Versuchung, meinen Nissan 350 Z ins Rutschen zu bringen - solche Manöver gehören ausschließlich auf abgesperrte Renn- und Teststrecken. Ehrlich! EXTRA Driften: Das Internet-Lexikon Wikipedia bezeichnet Driften als Fahrzustand, bei dem sich ein Fahrzeug in einer Kurve seitlich zur eigenen Längsachse bewegt. Ein überwiegender Hinterrad-Drift wird auch als Übersteuern bezeichnet. Das heißt, dass nach dem Ausbrechen des Fahrzeughecks die Lenkung geradegestellt oder sogar in Richtung der Kurvenaußenseite zu lenken ist. Ein überwiegender Vorderraddrift wird als Untersteuern bezeichnet. Das heißt, dass stärker eingelenkt werden muss, als der Kurvenradius es eigentlich erfordern würde. Powerslide: Bei Fahrzeugen mit Heckantrieb kann der Drift durch volle Beschleunigung verlängert werden. Die Hinterreifen werden durch die Antriebskräfte überlastet und drehen durch. Driften mit Autos hat sich besonders in Japan und den USA als eigene Motorsportkategorie entwickelt. Der Spielfilm "The Fast & the Furious - Tokio Drift" befeuerte den Boom. (cus)

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