Vor 100 Jahren brauchten Richter Fußsäcke

BITBURG. Das Amtsgericht in Wittlich feiert in diesem Jahr sein 200-jähriges Bestehen. Nicht ganz so alt ist das Amtsgericht in Bitburg. Vermutlich seit dem 20. Januar 1805 gab es ein napoleonisches Gericht mit deutschem Vorsitzenden. Auch dem Namen nach ein Amtsgericht gibt es in Bitburg seit genau 125 Jahren.

Aus dem Archiv liegt Werner von Schichau, Leiter des Amtsgerichtes in Bitburg, eine Urkunde aus dem Jahre 1806 vor, in der das "Tribunal de première Instance de Bitbourg" fünf Räuber zu Geldstrafen verurteilt. Über die bis heute vergangenen 198 Jahre Gerichtsgeschichte finden sich im Bitburger Stadtarchiv interessante Unterlagen. So stritten die Bitburger Jahrzehnte lang über einen neuen Standort des Gerichtes. In einer Kopie aus dem Archiv ist zu lesen, dass die Stadtverordneten-Versammlung am 22. April 1910 in Bitburg über den Umzug diskutierte. Die Verordneten wollten die Königliche Staatsregierung bitten, das Amtsgerichtsgebäude im Norden Bitburgs zu erbauen, "weil durch eine Verlegung des Gebäudes in einen anderen Stadtteil der Norden, abgesehen vom Stadtbürgermeisteramt, sein letztes öffentliches Amtsgebäude verlieren und ein bedeutende Schädigung erleiden würde." Es gab jedoch eine Bürgerinitiative, die sich für den Umzug in den südlichen Teil der Stadt einsetzte.Ein Umzug war schon aus baulichen Gründen erforderlich. 1905 schreibt ein aufsichtsführender Richter an den Vorstandsbeamten des königlichen Landgerichts in Trier: "Das ganze Gebäude ist in baulich schlechtem Zustand." Trotz Doppelfenster mache sich besonders bei windigem Wetter ein äußerst empfindliche Zugluft bemerkbar. Infolge unzweckmäßiger Kaminanlage seien die Räume derart mit Kohlenrauch angefüllt, dass ein Aufenthalt dort unmöglich sei. Im Erdgeschoss war der Aufenthalt nur "unter Benutzung eines Fußsackes möglich".Zahl der Richter auf dem Niveau von 1905

Dennoch wurde über den Umzug des Bitburger Amtsgerichtes gestritten. Tatsächlich umgezogen ist es erst 1936 in die Gerichtsstraße, wo es auch noch heute zu finden ist. Gleichgeblieben ist die Zahl der Richter. Sowohl 1905 als auch 2003 fällten sechs Richter die Urteile.Seit inzwischen 18 Jahre ist Werner von Schichau einer von dem halben Dutzend - insgesamt ist der Leiter des Amtsgerichts seit 33 Jahren Richter. Im vergangenen Jahr wurden in Bitburg 847 Strafsachen, 800 Zivilsachen und etwa 300 Ehescheidungsverfahren verhandelt. Der Ausländeranteil bei den Strafsachen liege bei mehr als einem Drittel, sagt von Schichau. Die am häufigsten verhandelten Fälle bei Jugendlichen hätten mit Vergehen gegen das Betäubungsmittelgesetz zu tun.Von Schichau sieht eine Steigerung der Kriminalität. Zudem ändere sich die Qualität der Strafsachen. "Wenn früher einer auf dem Boden lag, hat man irgendwann aufgehört, ihn zu schlagen, heute werden noch Hilfsmittel eingesetzt," beobachtet der Richter. Dass es mehr gewaltsame Täter als noch vor zehn Jahren gibt, erklärt sich von Schichau unter anderem mit dem Zuzug aus osteuropäischen Ländern. Auch die Drogenproblematik rühre zum großen Teil daher. "Vor zehn Jahren kannte man einen, der auf Heroin war, heute schätzt man, dass es zwischen 150 bis 200 Heroinsüchtige im Altkreis Bitburg gibt, davon 14 bis 20 Jugendliche.""Die Gesellschaft ist egoistischer geworden"

"Die Gesellschaft ist wesentlich egoistischer geworden," beobachtet von Schichau. "Die Leute streiten sich häufiger, weil sie rechtsschutzversichert sind." Das habe auch zu einem Anstieg der Zahl von Prozessen geführt.Nach 33 Jahren im Richteramt ist von Schichau seiner Arbeit noch nicht müde geworden. "Ich bin Berufsrichter, bei meinem Gemütszustand bleibt nichts hängen und ich habe auch keine Einschlafschwierigkeiten", sagt er. "Cool bleiben und den Abstand haben" seien die Grundvoraussetzungen für seinen Beruf. Politische Einflussnahme oder Bestechung habe er noch nicht erlebt. Und: "Wer das zulässt, der hat den Beruf verfehlt." Aber: "Es wollte mich mal einer umbringen", erinnert er sich. Die Waffe sollte dem Angeklagten aus dem Zuschauerraum zugeworfen werden. Demut und Selbstkritik, gehöre für ihn zum Richterberuf dazu. "Man muss auch Kritik vertragen können, zum Beispiel, wenn ein eigenes Urteil in höherer Instanz korrigiert wird."Und ein Portion Humor kann man sich bei all dem auch bewahren. Oder wie ist es zu verstehen, wenn der Leiter des Amtsgerichtes seinen Kaffee aus einem Becher trinkt, auf dem steht: "Lieber Gras rauchen, als Heu schnupfen"?!

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