"Wäre er nur angeschnallt gewesen…"

OBERWEILER. Der bei dem schweren Busunfall am 2. März lebensgefährlich verletzte Junge ist wieder zu Hause. Während der Heilungsprozess seiner Wunden gute Fortschritte macht, geht der Elternbeirat der Kindertagesstätte Bickendorf in die Offensive und fordert: "Kinder in den Gurt".

 Michael Noesges (links) ist wieder zu Hause. Bei dem Busunfall im März in Oberweiler hatte der Fünfjährige lebensgefährliche Verletzungen erlitten. Jetzt spielt er wieder mit seinem Bruder Jonathan. Foto: Manfred Reuter

Michael Noesges (links) ist wieder zu Hause. Bei dem Busunfall im März in Oberweiler hatte der Fünfjährige lebensgefährliche Verletzungen erlitten. Jetzt spielt er wieder mit seinem Bruder Jonathan. Foto: Manfred Reuter

Auf dem Tisch im Wohnzimmer der Familie Noesges in Oberweiler liegen vier Drähte, jeder 23 Zentimeter lang. Die sind Michael gestern vor einer Woche aus den Beinen herausoperiert worden. "Ja, die sind lang. Man könnte darauf häkeln", bemerkt Mutter Beata (29) in einem Anflug von Sarkasmus. Trotzdem: "Die Heilung verläuft gut, obwohl er noch Schmerzen hat und oft träumt", erzählt die gebürtige Polin. Seit Michaels Busunfall am 2. März hat sich auf dem Bauernhof in Oberweiler einiges verändert. An diesem Tag ist der Fünfjährige auf der Rückfahrt vom Kindergarten Bickendorf verunglückt. Auf der Kreuzung unmittelbar vor dem Ortseingang Oberweiler kollidiert der Bus mit einem Müllwagen. Michael Noesges, der - nicht angegurtet, weil es keine Gurte gibt - hinter der Fahrerin sitzt, wird durch die Wucht des Aufpralls vom Sitz katapultiert und durch das Gefährt geschleudert. Mit einem offenen Schädel-Hirn-Trauma und zwei gebrochenen Beinen bleibt das Kind am Boden liegen. Zur gleichen Zeit wartet seine Mutter zusammen mit einer Nachbarin zu Hause vor der Tür auf den Jungen. "Ich habe den Knall gehört, aber nicht gedacht, dass es so etwas sein könnte", erinnert sich die diplomierte Agrar-Ingenieurin. "Und dann kam jemand und sagte, Michael sei gestorben." Als sie diesen Augenblick noch einmal spürt, kämpft Beata Noesges gegen ihre Tränen - und schafft es trotzdem, weiter zu erzählen: wie sie von einer Dorfbewohnerin zur Unfallstelle gefahren wurde, wie sie ihren Jungen mit der großen Kopfwunde flach am Boden liegen sah, wie sie bemerkte, dass Michael sehr wohl noch lebte, wie die Rettungskräfte kamen und wie sie ihr Kind im Hubschrauber ins Trierer Brüderkrankenhaus begleitete. "Ich möchte jetzt nicht ruhig bleiben, ich will provozieren", kündigt Beata nun an. "Ich fühle mich verpflichtet, dass was geschieht." Gleichzeitig ist die Mutter froh, dass sie nicht allein ist. Alle Eltern seien empört und traurig, dass nichts passiere. Inzwischen habe der Elternbeirat der Kindertagesstätte Bickendorf eine Unterschriftenaktion gestartet, den Ministerpräsidenten und den Landrat angeschrieben. Auch Paare ohne Kinder würden die Aktion "Kinder in den Gurt" unterstützen; und selbst die Ärzte im Krankenhaus seien bereit, zu unterschreiben. "Wäre er doch nur angeschnallt gewesen", denkt Beata dann wieder laut über diesen 2. März nach. Beata Noesges ist derweil dankbar, dass die Ärzte es geschafft haben, das Schädel-Hirn-Trauma und die Bein-Frakturen ihres Sohnes optimal zu behandeln. Die Gehhilfe, die im Wohnzimmer steht, wird Michael voraussichtlich nur noch wenige Monate brauchen. Denn tagsüber kann der Junge schon wieder munter spielen, zu Hause mit seinem Brüderchen Jonathan, oder mit Katrin, die ebenfalls im Bus saß. "Katrin und Michael spielen Unfälle", erzählt die Mutter. In der Tat: Einmal spielten sie mit einem kleinen Plastik-Reh, dessen Beine sich nicht mehr bewegten. Deshalb bekam es Krankengymnastik. Später konnte es wieder Bus fahren. Doch dem Reh sollte es besser gehen als Michael: Die Kinder gurteten es an. In den Kindergarten geht Michael noch nicht. Das lassen seine Kräfte im Moment nicht zu. "Er ist schon nach einer Stunde ausgepowert", weiß Mutter Beata, außerdem gebe es noch Probleme mit der Konzentration. Erst im Herbst wird er wieder in den Kindergarten können, zusammen mit Bruder Jonathan, der dann drei Jahre alt sein wird. Ob Beata ihre Kinder dann in den Bus setzen wird? "Nach so viel Arbeit und Schmerzen? Ich weiß noch nicht, wie wir das machen." Wichtig sei nur, dass Michael "normal behandelt" wird und dass er "alles mitmacht", wünscht sich die Mutter, die Zuversicht und Kampfkraft zeigt. Denn auch Michael wolle es schaffen. Beata: "Er findet sich immer noch schön und attraktiv. Und ich finde das auch!"

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