Was ist, wenn kein Bus mehr fährt?

PRÜM. Der demografische Faktor ist nicht nur europaweit ein Thema: Geburtenrückgang und Rentendiskussion wirken sich bereits jetzt bis auf die kleinste Ortsgemeinde aus. Mit der brisanten Problematik beschäftigt sich nun als erste Verbandsgemeinde (VG) in Rheinland Pfalz der VG-Rat Prüm.

Unter Demografie versteht man gemeinhin die Darstellung von Struktur und Bewegung der Bevölkerung aufgrund der Bevölkerungsstatistik. Diese Definition liest sich zunächst ebenso nüchtern wie wissenschaftlich trocken; dahinter aber steht eine Entwicklung, die in den kommenden Jahren in furioser Weise an Bedeutung gewinnen und die Infrastruktur von Städten und Gemeinden nachhaltig verändern wird. Alarmiert von Geburtenrückgang, der Furcht vor der Verödung von Dörfern und sich drastisch verändernder sozialer Struktur beschäftigt sich nun auch die Verbandsgemeinde Prüm mit dem so genannten demografischen Faktor. In der heutigen Ratssitzung wird Christian Muschwitz vom Taurus-Institut in Trier einen auf die VG Prüm zugeschnittenen Bericht vorlegen. Bürgermeister Aloysius Söhngen weiß: "Wir werden es mit erheblichen Veränderungen in den Bevölkerungszahlen zu tun haben." Bereits eine Prognose des statistischen Landesamts besage, dass der Bevölkerungsrückgang auf Kreisebene bis zum Jahr 2050 rund 25 Prozent betragen werde. Auswirkungen sieht der Rathaus-Chef daher auf die Daseinsvorsorge schlechthin, auf die Infrastruktur, die Wirtschaftskraft sowie auf das Konsumverhalten - und dies auch lokal heruntergebrochen auf die VG Prüm. Betroffen werden unter anderem Schulen und Kindergärten sein, die Nutzung von Gemeindehäusern, der Einzelhandel und die Siedlungsstruktur."Rente mit 60 kann sich die Gesellschaft nicht leisten"

Die Bevölkerungsexpertin Juliane Roloff kommt in ihrem in der Europäischen Verlagsanstalt erschienen Buch "Demographischer Faktor" zu dem Ergebnis: "In allen Industriegesellschaften ist einhistorisch einmaliger Trend zu verzeichnen: ein Bevölkerungsrückgang ohne Krieg. Der Grund: Unsere Lebenserwartung steigt, die Zahl der Geburten sinkt. Bereits heute weiß man: In 40 Jahren werden hierzulande 15 Millionen weniger Einwohner leben. Doch über die Folgen wissen wir wenig." Und: "Wer wird die Renten bezahlen? Wer bezahlt Behandlung und Pflege des hohen Anteils alter Menschen? Und schließlich: Wer konsumiert, wer baut Häuser, wer kauft Aktien, wer gründet Firmen? Juliane Roloff hat in ihrem Buch Statistiken ausgewertet und Szenarien entworfen. Bereits jetzt werde deutlich: "Jugendkult kann sich die Gesellschaft nicht mehr leisten, eine Rente mit 60 schon gar nicht." Der Schweizer Familien-Soziologe François Höpflinger spricht derweil von einem deutschen Sonderweg im europäischen Vergleich und meint damit die Tatsache, dass in keinem anderen Land das Thema Kinderfeindlichkeit so stark in den Brennpunkt der Diskussion gerückt werde. "Welche Frau möchte aber schon gerne Kinder in einem Land zur Welt bringen, in dem sie zuvor als Kinderlose angefeindet worden ist und später - nach dem Auszug der eigenen Kinder aus dem Elternhaus - wieder mit Anfeindungen rechnen muss? Potenzielle Eltern sollten von unserer Gesellschaft einen Vertrauensvorschuss erhalten", fordert der Fachmann. In der Verbandsgemeinde Prüm, die als erste in Rheinland-Pfalz offensiv mit dem Thema umgeht, wird man sich unterdessen in den nächsten Jahren detailliert Gedanken machen, was mit den zur Zeit zwölf Schulen, 14 Kindergärten, dem Straßennetz und dem öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) geschieht. Aloysius Söhngen, selbst diplomierter Volkswirt, sieht allein in der Möglichkeit, dass die Dörfer nicht mehr von Bussen angefahren werden könnten, einen erheblichen Rückgang von Attraktivität und Lebensqualität im ländlichen Raum. Aufschluss darüber, wie die VG Prüm mit ihren (noch) 24 000 Bewohnern in 44 Ortsgemeinden auf einer Fläche von 46 000 Hektar in 30 oder 40 Jahren dasteht, erhoffen sich die Mandatsträger vom Bericht des Taurus-Instituts, der heute vorgelegt wird. Die öffentliche VG-Ratssitzung beginnt um 14.30 Uhr im Sitzungssaal an der Tiergartenstraße.

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