"Lieber zu dritt trinken als für drei arbeiten"

DAUN. Der Kölner Kabarettist Jürgen Becker gastiert am Samstag, 5. Juni, 20 Uhr, im Forum Daun mit seinem Programm "Da wissen Sie mehr als ich!". Im TV -Interview verrät der 44-Jährige, warum Alkoholkonsum gut für die Wirtschaft sein soll.

In Ihrem Programm: "Da wissen Sie mehr als ich!" geht es um die Frage, wer den globalen Wettlauf der Wirtschaftssysteme gewinnt? Wer siegt denn? Becker: Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass der Rheinische Kapitalismus doch noch siegen wird, weil er den Bedürfnissen der Menschen näher kommt. Viele sagen, dass die Amerikaner im wirtschaftlichen Bereich Vorbild seien. Also gehen wir Deutsche daran, und höhlen unsere Sozialsysteme aus. Ein Beispiel ist die Praxisgebühr. Mit ihr zahlen die Leute zehn Euro Eintritt beim Arzt. Die Leute können sich jetzt also überlegen, ob sie für das Geld zum Kabarettisten gehen, oder doch zum Urologen. Das sind beides Kleinkünstler. Wirtschaftsplaner Michel Albert war Anfang der 90er Jahre Begründer des Begriffs "Rheinischer Kapitalismus". Beweisen Sie sich als Wirtschaftsjournalist und erklären Sie doch mal, was dahinter steckt?Becker: Der Rheinische Kapitalismus ist der Gegenspieler des amerikanischen Kapitalismus. Nehmen Sie zum Beispiel das Wort "Krank feiern". Das ist im Rheinischen Kapitalismus entstanden. Man ist krank, aber man feiert diese Widrigkeiten des Lebens. Warum? Weil sie doch zumindest vorübergehend von der Last der Arbeit befreien. In Amerika gibt es den Begriff nicht. Rein wissenschaftlich hat Michel Albert das so beschrieben: Der Rheinische Kapitalismus ist der jener Länder mit den höchst entwickelten Sozialsystemen weltweit. Und die liegen zufällig alle am Rhein. Frei übersetzt verheißt bei Ihnen das Credo dieses Rheinischen Kapitalismus: "Drink doch ejne mit!". Je mehr zur Flasche greifen, desto höher der Getränke-Absatz, desto besser die Konjunktur. Das soll reichen, um die Welt wohlhabender zu machen? Becker: Nein, aber der Umsatz ist langfristig am größten, wenn alle mittrinken, wenn möglichst viele Menschen am Wohlstand teilhaben und möglichst niemand in der Branche vertrocknet. Es ist ökonomisch besser, wenn alle was konsumieren. Aber sie versuchen doch nicht etwa, die Menschen zum trinken zu animieren!? Becker: Ja, das stimmt natürlich. Zum Alkoholismus will ich nicht verführen. Aber ich sage: Lieber zu dritt trinken als für drei arbeiten. Trinken ist immer noch besser, als wenn man sich tot arbeitet. Kölsch, Kirche, Karneval sind immer wieder kehrende Themen in ihren Programmen: Nun kommt auch noch der Kapitalismus hinzu. Warum? Becker: Das ist im Moment das Thema, das uns Schwierigkeiten macht. Jede Regierung wird im Moment für Reformen bestraft, sei es die französische oder die deutsche. Die Leute wollen das alte System nicht aufgeben. Das kann man ja auch verstehen. Deshalb versuche ich, das ganze historisch zu untermauern. Sie reiten im Schweinsgalopp durch die Menschheitsgeschichte, um Ihre Theorie zu belegen, beginnend bei Adam und Eva. Wer war denn der größte Huldiger des Rheinischen Kapitalismus? Becker: Der Rheinländer. Er hat am besten eine Fantasie entwickelt, wie man sich wohlfühlt, ohne sich tot zu arbeiten. Das ist in der heutigen Wirtschaft sehr, sehr schwer. Der Rhein hat uns alles gebracht, wir brauchten nicht umherzuziehen, um Beute zu machen. Der Grund: Die Schiffe kommen vorbei. Deshalb wurde das Stapelrecht erfunden. Die Schiffe mussten anhalten und ihre Waren ausräumen. Die Kölner bekamen Vorkaufsrecht und hatten immer sehr preiswert guten Wein und frischen Fisch auf dem Tisch. Prima leben und stapeln! So fing das an. Sie sind ein Kabarettist der alten Schule. Die Art, wie sie in den von Ihnen im WDR moderierten "Mitternachtsspitzen" hochgehalten wird, wirkt für manche neben den Comedy-Supermärkten im Fernsehen wie ein Tante-Emma-Laden. Ist Kabarett noch zeitgemäß? Becker: Ja, das beweisen die Zuschauerzahlen. Die Mitternachtsspitzen haben jedes Mal rund 1,2 Millionen Zuschauer im WDR. Und das haben Sendungen im ersten Programm oft nicht um die Zeit. Das Bedürfnis nach Inhalten ist da. Comedy hat auch ihre Berechtigung. Aber die Leute wollen auch etwas für die Birne zu knabbern haben. Mit Jürgen Becker sprach unser Redakteur Mirko Blahak.

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