Mit zwei PS Handel treiben

BITBURG. Als ambulanter Handel mit Pferdegespann startete ein Familienunternehmen, bei dem heute in vielen Geschäftszweigen 230 Mitarbeiter tätig sind. Die Offenheit für Neues half auch über die Zerstörung von Lager und Wohngebäude nach dem Krieg hinweg.

Romantisch muten die alten Fotos an - zum Beispiel ein über und über mit Töpfen und Emaillewaren beladenes Fuhrwerk, vor das zwei geduldig schauende Pferde gespannt sind. "Unsere Ursprünge liegen im fahrenden Handel - das geht bis ins 19. Jahrhundert zurück", erzählt Seniorchef Robert Gangolf. Die heute weit verzweigte Familie, die ursprünglich aus Orenhofen stammt, transportierte und verkaufte anfangs Speicherer Tonwaren und andere Haushaltsgegenstände bis hinein ins Elsass und nach Lothringen. Das Jenische, eine spezielle Händlersprache, die inzwischen fast ausgestorben ist, war den Gangolfs geläufig. Erst 1930 wurde die Familie mit ihrem Geschäft das, was Robert Gangolf sesshaft nennt: Ein Wohnhaus mit Lager und Pferdeställen wurde in der damaligen Prälat-Benz-Straße in Bitburg gebaut. Dank der neuen Lagermöglichkeiten gab es nun nicht nur kleinteilige Haushaltsgegenstände zu kaufen, sondern auch Herde, Öfen oder Waschmaschinen mit der in den 1930er Jahren üblichen Technik, die noch immer viel Handarbeit erforderte. Von den Pferdegespannen, die bis dahin als Familientradition immer zur Hochzeit geschenkt wurden, sattelten die Gangolfs um auf Lastwagen, mit denen Kunden aus der Umgebung beliefert wurden, bis die Nazis die Fahrzeuge zu Kriegszwecken beschlagnahmten. Zudem schaffte das Unternehmen für den Westwallbau drei Kipper an, um als Auftragstransport Kies zur Westfront zu bringen. Der Handel mit Haushaltswaren blieb ein Standbein - allmählich kamen Landmaschinen wie Drescher oder Milchzentrifugen hinzu. "Da wir immer vor Ort bei den Kunden waren, zumeist Landwirte, wussten wir, was gebraucht wurde. Die Kontakte aus dem fahrenden Geschäft konnten wir auch für unser stationäres Geschäft nutzen", erzählt Gangolf, der den Angriff von Weihnachten 1944 als 14-Jähriger erlebt hat."Dinge, die ein junger Mensch nicht sehen sollte"

Die Gebäude in der Prälat-Benz-Straße wurden von den Bomben schwer beschädigt, doch die Familie hatte Glück und überlebte im Keller. Menschen, die in den Bunker im Garten geflüchtet waren, starben. "Da habe ich Dinge gesehen, die ein junger Mensch eigentlich nicht sehen sollte", erinnert sich Gangolf. Doch es ging weiter: Unter "den schwierigen Bedingungen der Besatzung" wurde der Handel wieder aufgebaut. "Wir Kinder waren von Anfang an gewohnt mit anzupacken, wir sind mit Leib und Seele im Betrieb groß geworden." Zwangsläufig war - wie für die meisten Menschen der Region - Schmuggel das einzige Mittel, um an Waren zu kommen. Kessel oder Zinkerzeugnisse wurden in Hagen gegen Hühner, Kaninchen oder Aale aus der Sauer getauscht. "Die Naturalien aus unserer Zone hinaus zu bringen, war schwieriger als die benötigten Gegenstände hinein", sagt Gangolf. Bald fuhr er mit Motorrad und Anhänger samt Zentrifugen auf die Bauernhöfe, um dort seine Produkte vorzuführen. Hausschlachter und Metzger wurden mit Dosen und Einmachgläsern beliefert. 1949 schließlich wurde das heutige Porzellangeschäft in der Trierer Straße errichtet, 1950 übernahmen die Gangolfs eine Vertretung für Deutz-Traktoren, und 1959 wurde ein Gelände in der Saarstraße gekauft. Die Grundlage für das expandierende Geschäft mit Filialen und verschiedenen Zweigen von Nutzfahrzeugen über Landtechnik und Reinigungstechnik bis hin zum Hotelbedarf war gelegt. S Die vom Trierischen Volksfreund präsentierte Ausstellung "Bitburg im Zeitraffer" ist noch bis zum 28. Februar in Schaufenstern der Geschäfte in der Bitburger Innenstadt zu sehen.

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