Streit um Hilfe für alleinlebende 78-Jährige in Gerolstein eskaliert

Gerolstein · Erneut Aufregung um hilfebedürftige Seniorin in Gerolstein: Eine Nachbarin schlägt Alarm, weil der 78-Jährigen vermeintlich entgegen ihren Willen Haus und Garten ausgeräumt werden sollten, Sozialamt und Betreuer nennen die Vorwürfe haltlos. Und Stadtbürgermeister Friedhelm Bongartz erstattet wegen der im Internet verbreiteten Vorwürfe und Anschuldigungen gegen ihn Anzeige wegen übler Nachrede.

Gerolstein. "Mit der Räumungsaktion haben Stadt und Betreuer den Bogen massiv überspannt. Ich versuche seit Tagen, alle Hebel in Bewegung zu setzen, damit die alte Dame in Würde leben kann."
Mit diesen Worten kritisiert Nachbarin Ramona Schneider massiv das aktuelle Vorgehen der öffentlichen Stellen gegenüber einer 78-jährigen Seniorin in Gerolstein.

Die lebt seit Jahren alleine in ihrem Haus, ist offenkundig auf fremde Hilfe angewiesen und drohte zu verwahrlosen. Erst nach Veröffentlichung ihrer Situation vor knapp zwei Jahren im TV erhielt sie Hilfe: Auf Betreiben des Sozialamts wurden Heizöl getankt, der Strom wieder eingeschaltet, Lebensmittelpakete geschnürt, ein Betreuer bestellt. Zuvor lebte sie über Wochen im Dunkeln und Kalten, da das Heizöl leer und der Strom wegen nicht bezahlter Rechnungen abgestellt war.

Zudem herrschte und herrscht nach übereinstimmenden Schilderungen im Haus großes Durcheinander.
Betreuer ist seitdem Karl Lickefeld. Er besucht die Dame nach eigenem Bekunden jede Woche, bringt ihr jeweils 50 Euro Taschengeld vorbei und fragt nach, ob es Probleme gebe. "So einen richtigen Überblick kann ich mir aber nicht verschaffen, da sie mich nur in den Flur lässt. Aber was ich von dort sehe, lässt bereits auf große Unordnung schließen. Aber jeder darf so leben, wie er will. Es sei denn, er gefährdet sich oder andere damit."

Und wegen der Unordnung hat er eine Firma beauftragt, um im Garten und Keller Platz zu schaffen. "Natürlich mit Zustimmung der Seniorin", sagt Lickefeld, der von Entrümpelungsunternehmer Ekin Göcer bestätigt wird: "Die Dame hat ihr Okay gegeben. Und wir haben natürlich ausgemacht, dass sie dabei ist und nur das wegkommt, was sie will." Geräumt wurde dann aber nur im Garten. Denn als Göcer seiner Arbeit nachging, trat Nachbarin Ramona Schneider auf den Plan.

Sie berichtet: "Die räumen ihr unbefugt und gegen ihren Willen Haus und Garten aus. So geht es nicht, das ist Hausfriedensbruch." Sie schreitet ein, stellt den Unternehmer zur Rede und setzt daraufhin alle Hebel in Bewegung, um die Aufräumaktion zu stoppen - bei der Polizei, auf dem Sozialamt, beim Amtsgericht (das den Betreuer bestellt hat) und bei Stadtbürgermeister Friedhelm Bongartz."Etwas schrullig"

Göcer zieht daraufhin ab ("Als die Nachbarin mit der Polizei gedroht hat, habe ich schon etwas Angst bekommen"), die Seniorin sagt wenig später zum TV: "Die können nicht einfach in mein Haus kommen und es ausräumen. Das geht doch nicht. Das ist doch Hausfriedensbruch." Auf die Frage, ob sie zuvor dem Aufräumen zugestimmt habe, sagt sie: "Nein, das war nicht mit mir abgesprochen."

Nachbarin Schneider sagt: "Ja, sie ist etwas schrullig. Und ja, sie hortet im Haus auch viel Papier. Und ja, es riecht dort auch etwas. Aber erstens hat ihr niemand vorzuschreiben, wie sie zu leben hat. Und zweitens wäre die Lage nicht so, wenn sie die dauerhafte Hilfe bekommen würde, die ihr versprochen wurde. So aber lässt sie niemanden mehr ins Haus, weil sie Angst hat, dass man ihr alles wegnimmt und sie ins Heim muss."
Wenn sie etwas benötige, heiße es laut Schneider stets: "Dafür ist kein Geld da." So wie beim kaputten Herd (Schneider: "Weil keiner was gemacht hat, habe ich ihr einen funktionstüchtigen besorgt") oder aktuell dem offenbar defekten Dach.

Das müsse natürlich repariert werden, wenn Feuchtigkeit eindringe und die Bausubstanz beschädige, sagt Betreuer Lickefeld. "Aber ich kann mir ja kein Bild davon machen, da sie mich nicht reinlässt", sagt er.
Grundsätzlich nennt er die aktuelle Aufregung einen "Sturm im Wasserglas". Er sagt: "Die Vorwürfe entbehren jeglicher Grundlage, die Anschuldigungen entsprechen in keinster Weise den Tatsachen."
Das sieht auch der Gerolsteiner Sozialamtsleiter Jochen Kettel so. Er sagt auf TV-Nachfrage: "Ich kann die Aufregung nicht verstehen. Die Hilfe ist vorbildlich. Wenn etwas benötigt wird, meldet uns das der Betreuer und dann wird rasch reagiert. Von unserer Seite gibt es momentan keinen Handlungsbedarf."Stadtchef überrascht


Gerolsteins Stadtbürgermeister Friedhelm Bongartz ist nach eigenem Bekunden von der aktuellen Entwicklung überrascht, "da ich dachte, dass nach unserem Eingreifen Ende 2014 dort alles läuft". Und nachdem er mit allen Beteiligten gesprochen habe, bleibe er auch bei dieser Auffassung. Und er ist noch auf andere Art und Weise tätig geworden: Er hat inzwischen gegen die Verfasserin eines Schreibens im Internet, die als "Leserreporterin und entsetzte Nachbarin" tituliert wird, Anzeige wegen übler Nachrede erstattet.

Denn er wird im Fall der 78-jährigen Seniorin massiv angegriffen, der unterlassenen Hilfeleistung bezichtigt und als Lügner dargestellt. Bongartz: "Da hilft man und wird noch mit Dreck beworfen. Das lasse ich mir nicht bieten."

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