Der Abend, an dem Bomben fielen

HERMESKEIL. "Es ist alles noch da, als wäre es gestern gewesen." Das sagt Hans Scherer über seine Erinnerungen an ein Weihnachtsfest, von dem 60 Jahre später immer weniger Zeitzeugen den Nachkommen berichten können: Es waren die Tage, an denen die alliierten Jagdbomber kamen und ihre tödliche Fracht nicht nur über Trier (siehe Seite 10), sondern auch über der Hochwald-Region abluden.

Seit dem 27. August 1944 wussten die Hermeskeiler, dass sie mit ihrem plötzlichen Auftauchen jederzeit rechnen mussten. "Jeden Tag, wenn es das Flugwetter erlaubte, haben die Jabos angegriffen. Sie waren einfach immer da", erinnert sich Hans Scherer, der die letzten Kriegsmonate als 17-Jähriger in seiner Heimatstadt miterlebte. Dass Hermeskeil ins Fadenkreuz der Alliierten geriet, lag an einem wichtigen militärischen Ziel: dem Bahnhof, über den der Nachschub und die Truppenverbände der deutschen Armee in Richtung Westen rollten. "Die Jabos sind meistens ein paar Mal über den Bahnhof gekreist und haben uns Zeit gelassen, uns in Sicherheit zu bringen", blickt Scherer 60 Jahre in die Vergangenheit. Als Folge der wiederholten Luftangriffe musste das Bahnhofsviertel Mitte Oktober 1944 aber endgültig evakuiert werden. Zu den über 50 Familien, die ins "Oberdorf" umquartiert wurden, zählten auch die Scherers. Vater Fritz war Eisenbahner und hatte in diesen Tagen alle Hände voll zu tun. "Wenn der Bahnhof angegriffen wurde, hatten die Eisenbahner die zerstörten Gleisanlagen am nächsten Tag wieder repariert." Wenige Tage vor Weihnachten erlebten die Hermeskeiler jedoch einen Angriff, den die Älteren wohl nie vergessen werden. Es ist Dienstag, 19. Dezember, 15.40 Uhr: Acht "Rotschwänze" erscheinen am Himmel und umkreisen den Ort. Was sie sehen, sind hunderte von ausländischen Arbeitern, die auf dem Klosterberg Laufgräben ausheben. "Das Franziskanerkloster hat dadurch ausgesehen wie eine Festung. Die Schanzarbeiten haben den Angriff also förmlich herausgefordert." Mit Bomben und Bordwaffen gehen die Jabos zum Angriff über und erzielen verheerende Volltreffer. "Das Franziskanerkloster stand in Flammen und brannte völlig aus. Die Patres sind daraufhin unterhalb des Klosterbergs ins alte Klösterchen gezogen und haben dort eine Notkapelle eingerichtet, in der sie an Heiligabend auch die Mitternachts-Mette gehalten haben", weiß Scherer. Begonnen hatte auch dieser Tag mit mit einem Luftangriff. Nachdem "dichter Nebel wie in einer Waschküche" den gehetzten Menschen seit dem 19. Dezember zu einer kleinen Atempause verholfen hatte, klarte der Himmel am 24. wieder auf. "Wir hatten morgens oben am Sportplatz, dort wo heute das Wasserwerk steht, Volkssturm-Appell und sollten am Maschinengewehr und an der Panzerfaust ausgebildet werden." Doch dazu kommt es nicht mehr: Plötzlich tauchen etwa 30 Jabos auf. ",Das fängt ja gut an, und das an Heiligabend', haben wir uns zugeschrieen und sind in den Wald gelaufen. Dort haben wir dann das Feuerwerk beobachtet." Die Flugzeuge werfen ihre Bomben ab, schießen aus vollen Rohren mit den Bordwaffen, behindern sich aber gegenseitig: "Das war wohl auch die Ursache dafür, dass einer der Jabos abstürzt und im heutigen St. Fargeau-Park zerschellt." Der Pilot der amerikanischen Maschine findet dabei den Tod. Auch dieses Mal sind in Hermeskeil die Bahnanlagen das Ziel der Angriffe. Noch schlimmer sieht es jedoch im Nachbarort aus. In Reinsfeld nehmen die Alliierten das Lager der Deutschen Arbeitsfront (DAF) unter Beschuss. 14 polnische und russische Zivilarbeiter werden getötet, 20 Mann werden verwundet. Doch nicht nur am Heiligen Abend, auch an den Weihnachtsfeiertagen geht der Schrecken für die Hochwald-Bevölkerung weiter, steht alles unter dem Eindruck der planmäßigen Zerstörung aller Nachschublinien. "Am Vormittag des 25. sind die ‚Sturen‘ über uns hinweggeflogen." Gemeint sind damit die viermotorigen Bomberverbände, die in niedriger Höhe Kurs auf Nonnweiler nehmen. Das Ziel ist allen bekannt: die Nonnweiler-Brücke. Sie hatte zwar schon häufiger unter Bombenteppichen gelegen, war aber bislang noch nicht getroffen worden. "In Hermeskeil konnte man das Rauschen der ausgeklinkten Bomben hören, und die anschließenden Detonationen wurden durch den gefrorenen Boden spürbar weitergeleitet." An diesem Tag treffen die Alliierten ihr Ziel, gleichzeitig gelingt ihnen die Zerstörung des Hoxeler Viadukts - und damit ein strategisch wichtiger Erfolg. "Damit war der Hermeskeiler Bahnhof isoliert. Alle noch vorhandenen Lokomotiven und Waggons haben nämlich bewegungsunfähig zwischen den zerstörten Brücken gestanden." Wenn Scherer heute an die sechste und letzte Kriegsweihnacht zurückdenkt, dann bewegen ihn zwiespältige Gefühle: "Weihnachtsstimmung gab es keine." Vater Fritz hatte an Heiligabend zwar noch von irgendwoher einen Weihnachtsbaum beigeschafft. Doch nach Feiern war es wohl kaum einem zumute: "Man ist mit bangen Blicken den alliierten Luftflotten gefolgt, die seelenruhig ihre Todeslast abladen konnten." Oft habe man sich gefragt: "Wo bleiben die deutschen Jäger?" Doch am vergangenen Samstag, am 60. Jahrestag der Zerstörung, habe der jetztige Guardian des Franziskanerklosters, Pater Theresius, in seiner Predigt die richtigen Worte gefunden. "Wir waren an diesem Weihnachtsfest arm und doch froh. Froh, dass wir überhaupt noch ein Dach über dem Kopf hatten", sagt Scherer.

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